Ein geniales Drama Gorkis

_____________________________

„Feinde“  im Maxim-Gorki-Theater

Mit diesem Schauspiel begann der vollentfaltete sozialistische Realismus. Mit diesem Schauspiel gab uns Gorki eines seiner größten Werke: begeisternd, klärend. jedes Wort ein Blitz des Genies. 1905 hatte die erste Revolution des russischen Proletariats das Zarenreich erschüttert. 1906 entstand "Feinde", ein Kind der Revolution und der revolutionären Erfahrung. Kulturschöpfer sind die Massen. Der Höhenflug des großen Arbeiterdichters zeigt es.
Das erste Schauspiel, in dem sich die feindlichen Klassen unversöhnlich gegenüberstehen. Das erste, in dem ein Berufsrevolutionär auf die Bühne gestellt ist, in dem die Arbeiterklasse sich hoch über die noch scheinbar mächtige Bourgeoisie reckt. "Diese Menschen werden siegen!" Vortrefflich die Handlungsführung, bewundernswert. wie bei aller Differenziertheit des Dialoges und aller Kompliziertheit der bürgerliche Figuren die Klarheit nicht verwischt wird: Wie immer der Charakter des Ausbeuters sein mag, der Charakter der Ausbeutung wird davon nicht berührt. Ob brutal, ob "menschlich", jeder Kapitalist ist der Feind, solange der Kapitalismus herrscht.
Die Kompliziertheit aller bürgerlichen Gestalten steht die äußerste Sparsamkeit in der Zeichnung der proletarischen und revolutionären Typen gegenüber. Das hat "tiefen künstlerischen Sinn: Kompliziert, zerrissen, nicht mehr fähig, sich im Glauben an ihr Recht innerlich kraftvoll zu erheben, ist die späte Bourgeoisie. Einfach ist die Wahrheit, der kommende Sieg der Arbeiterklasse. Im Schauspiel macht die fast lautlose Schlichtheit der Proletarier (bei aller Abstufung zwischen ihren einzelnen Vertretern, von den Instinkthaften bis zu den klar Erkennenden) den Sieg über die bunte, schreiende Klasse der Gegner zur Gewißheit. "Schrei nicht so, Herr! Wir schreien auch nicht", sagt der Arbeiter Jakimow.
Für die Aufführung freilich ist's eine Schwierigkeit. mit geringen Charakterisierungs- und Dialogmöglichkeiten volle Figuren, und gar noch die Sieger, darzustellen. Im ganzen gelingt das in der Aufführung, des Maxim-Gorki-Theaters: beim Lewschin Herbert Dirmosers, beim Rjabzow Uwe-Detlef Jessens, beim Grekow Horst Weinheimers, sogar beim Akimow Benno Schrams, sowenig schauspielerische Möglichkeiten da auch gegeben sind. Bei Helmut Müller-Lankows Ssinzow wünschte man freilich, der kraftvollen Szene nach der Verhaftung ginge zumindest im zweiten Akt eine Darstellung voraus, die den erfahrenen und zielklaren politischen Organisator deutlicher machte.
Im ganzen ist es unter Hans Dieter Mädes klar herausarbeitender Regie eine würdige Aufführung. sehr befriedigend, auch wenn man noch jede Einzelheit jener trefflichen Darstellung im Gedächtnis hat, die Fritz Wisten 1952 am Schiffbauerdamm brachte. Freilich, die tiefe Qual der Ausweglosigkeit, wie sie damals Schelcher dem Jakob gab (da wußte man: der Selbstmord ist unausweichlich), hat Albert Hetterle nicht, hier ist nicht viel mehr als ein Säufer und Zyniker gelungen. Auch ist Marga Legal nicht eigentlich der Typ, der Kleopatras Machttrieb - auf Klassenhaß wie auf Männerverführung gleicherweise gerichtet - darstellen sollte, noch ist es Sabine Krug mit der Tatjana, die zuviel Bewußtheit, zuwenig vom Heimweh nach ihrer Proletarischen Herkunft hat. Aber die meisten und vor allem die wichtigsten Figuren der bürgerlichen Seite sind überzeugend gegeben. So der in seiner schwerfälligen Weichheit und seinem gesichtslosen Schwanken ganz vorzüglich gestaltete Sachar Kurt Steingrafs, so Friedel Nowaks nicht minder überzeugendes hirnlos geschäftiges, "feines" Bürgerweib Polina. Heinz Scholz umreißt auf ganz andere, nicht weniger gute Weise wie seinerzeit Wolf von Benneckendort den dünkelhaften, boshaften Trottel von General, Walter Jupé stellt der nervös-brutalen Figur Michail Skrobotow die Willi Narloch auf die Bühne bringt, mit behutsamen Mitteln seinen zurückhaltenden, nicht weniger brutalen Bruder Nikolai zur Seite, auch bei kleinen Rollen findet sich Beachtliches: neben Jochen Thomas' Konj und Gerd Michael Hennebergs Pologij besonders die laute und scheinstarke Gestalt von Gerd Ehlers’ Rittmeister.

Vor allem aber ist wichtig, daß die Aufführung in Eva-Maria Hagen eine wirkliche Nadja hat. Sehr jung und sehr leidenschaftlich zeigt sie uns dies Mädchen, das mir seinen humanistischen Fragen die Fragwürdigkeit der bürgerlichen Klassenherrschaft entlarvt. Tief empfindet man aus ihrem Munde und aus dem Munde des Dichters das Urteil über die Bourgeoisie: „Diese sind’s, die das ganze Leben morden mit ihrer Begehrlichkeit, mit ihrer Feigheit! Ihr ... Ihr seid die Verbrecher!“

Vor 50 Jahren, im Sommer 1961, wurde die Berliner Mauer errichtet

Eva-Maria Hagen als Nadja und Gerd Ehlers als Bobojedow in Gorkis Schauspiel "Feinde"


Eva-Maria Hagen als Nadja
Sabine Krug als Tatjana


Archiv |  Kontakt  |  Shop |  Impressum | 

Inhaltsverzeichnis