Alles zu Wolf Biermann

"Nur wer sich ändert, bleibt sich auch treu!"


 
   



Hildesheimer Allgemeine Zeitung
Sonnabend, 13. Februar 1993

Eva-Maria Hagen & Wolf Biermann begeistern mit melancholisch-mitreißenden Liedern im ›Vier Linden‹

HILDESHEIM. Volles Haus für Eva-Maria Hagen und Wolf Biermann. Die beiden, die seit Jahren schon mehr verbindet als nur ihr gemeinsames künstlerisches Schaffen, sorgten für einen mitreißend-melancholischen Abend im ›Vier Linden‹.

Als Eva Wolf zum ersten Mal verführte, nahm er sie einem Schweden weg und beerbte diesen auf eine schöne Weise, denn Eva konnte unheimlich schön schwedische Lieder singen. Mit solchen Anekdoten und kleinen spielerischen Rangeleien entsteht im Laufe des Konzerts eine ganz besondere Atmosphäre. Der Saal erhascht einen Hauch von Bierannschem Wohnzimmerflair.

Der schnodderige Wolf mit seiner läuternden Redseligkeit gerät ein bißchen in den Verdacht, seine Bühnenpartnerin in den Hintergrund drängen zu wollen, hat aber keine Chance gegen ihre weiblichen Waffen Charme und souveräne Zurückhaltung. Sie ergänzen sich ausgezeichnet.

Kleine Höhepunkte entstehen immer dann, wenn sie Teile des Programms gemeinsam bestreiten. Dann wechseln sie sich mit den Strophen ab und Biermann unterstützt ihre eindrucksvolle Gesangspartie mit Phrasen und Silbeneinwürfen die gleichsam Peitschenschlägen die Stimmung und Spannung in die Höhe treiben.

Eva-Maria Hagen verfügt mit dem Pianisten Siegfried Gerlich über einen hervorragenden Begleiter, der bei Trioeinsätzen tatsächlich nur dann spielt, wenn sie singt. So ist er für sie auf virtuose Weise eine solide Stütze mit viel Einfühlungsvermögen.

Das Repertoire der beiden entspringt aus der jiddischen, französischen, schwedischen und russischen Liedkultur. Die Strophen wurden von Wolf Biermann übersetzt oder umgetextet. Viel Selbstgeschriebenes kommt hinzu, auch das, was er für Eva-Maria Hagen in den vergangenen Jahren komponierte.

Was einen bei Biermanns Texten schmunzeln läßt, sind nicht nur die Reime wie: "In meinem Kaff hier du in echt, hab' ich 'nen Ruf, der ist sauschlecht", einer Übersetzung des Liedes "La mauvaise reputation" von George Brassens. Mehr noch erheitern seine gewitzten Allegorien und die hintersinnige, bissige Aufarbeitung gesellschaftspolilischer und menschlicher Probleme und Illusionen.
Kurz vor seiner Ausbürgerung aus der DDR 1976 verfaßte Biermann die "Ballade vom preußischen Ikarus", dem eisernen Adler auf der Weidendammer Brücke. Das sei nun Vergangenheit, kommentiert er, er habe keine Angst mehr abzustürzen, denn er sehe sich selbst eher als Daedalus, den klügeren Vater, der den richtigen Weg beschritten hat. Es bleibt die Erkenntnis, jede Gesellschaft sei immer die schwerste, in der man gerade lebt.
Immer noch verteilt er Spitzen in Richtung neue Bundesländer, über gesteigerte Fremdenfeindlichkeit und die vielen Leute, die sich nicht wandeln, sondern nur wenden. Dieser kleine Unterschied macht's, denn: "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu!" - mut




 

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