GorbatschowSeite Alles zu Wolf Biermann

ICH HAB IM MAUL NOCH ALLE MEINE ZÄHNE

   
   
  Ich hab im Maul noch alle meine Zähne
Mein Busen hängt noch lang nicht auf'm Bauch
Ick baumel ooch noch jerne mit de Beene
Nun bin ich alt und sterben werd ich auch
Bis gestern war ich noch die junge Schöne
Und morgen bin ich schon ein Hutzelweib
Wenn ich erst in der nassen Erde liege
Bin ich so nackig wie im Mutterleib
    Ich spielte nie im Welttheater
    die Dame ohne Unterleib
    Ich bin noch viel zu jung und gerne
    bin ich auch ein altes Weib
2
Man muß sich wehren und muß leider treten
In manchen Arsch, ob knochig oder breit
Die niemals jung warn, grade die trompeten
Nur! nur die Jugendzeit sei Goldne Zeit
Die niemals schwelgten, ach, die niemals brannten
Verzehren sich und schwelen im Verzicht
Es stinkt der Neid aus so verdorrtenTanten
Die gönnen uns nicht eine Nacht voll Licht
    Manch eine spielt im Welttheater
    die Dame ohne Unterleib
    Ich aber nicht! ich war so gerne jung.
    Und bin auch gern ein altes Weib
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Mir konnte mancher in die Seele scheißen
Ein Matscho hatte mich am Gängelband
Doch die sich über mir das Maul zerreißen
Die Schweine lach ich heute an die Wand
Ich hasse flotte Nummernschieber
Jetzt hab ich einen lieben Träumer lieb
Und wenn ich weinte, weinte ich zu Ende
Bis mir nicht eine Träne übrig blieb
    Ich spiele nie im Welttheater
    die Dame ohne Unterleib
    Ich war so jung und war es gerne
    und bin auch gern ein altes Weib
  Ich liege oft in meinem Träume-Garten
Da spinn ich mir zurecht, was morgen war
Ich will, daß junge Weiber und auch alte
Wie Blumen blühen dürfen, rund ums Jahr
Schneeglöckchen war ich, Bauernrose
Und schwere Aster in des Herbstes Pracht
Eisblume morgens an dem kleinen Fenster
Von deinem heißen Atem in der Nacht ...
    Ich spiele nie im Welttheater
    die Dame ohne Unterleib
    Ich war so jung und war es gerne
    und bin auch gern ein altes Weib
5
Und sind die alten abgespielt, dann ziehe
Ich neue Saiten auf, damit es klingt
Ich mag so kleine Lieder im Gebrülle
Es wird schön hell, wenn man im Finstern singt
Jetzt bin ich alt und singe groß die Liebe
Und die Gitarre zupf ich zärtlichgeil
Mag Männer, wennse nach mir schaun und nicht bloß
Wie Hunde glotzen auf mein Hinterteil ...
    Ich spiele nie im Welttheater
    die Dame ohne Unterleib
    Ich war so jung und war es gerne
    und bin auch gern ein altes Weib
6
Jetzt bin ich alt genug und will es wagen
Ich sage Dir die Wahrheit ins Gesicht
Ach, tief im Wäscheschrank die Wodka-Flasche
Und seine Briefe, tja, die fandst du nicht
Es tut mir weh, daß ich dich anlog
Als ich vorm Spiegel stand und lachte los
Als ich dich mit dem andern Kerl betrog
Da war mein Herz
 für meinen engen Rippenkäfig
  viel zu groß
    Auch eine Alte muß es treiben
    Noch habe ich ein' Unterleib
    Und selbst im Grabe werd ich bleiben
    Das, was ich gerne bin: ein Weib
  der dazugehörige Artikel in der Brigitte

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