Sonntag, 13./14. April 2008 

BLICKPUNKT

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Flammenkleid

 

"Ich schaue nach vorn"

von Silvia Müller

"Die Rolle der Traudel war so was wie der Hauptgewinn bei einer Tombola, Schicksalsfügung, Berührtwerden von der Göttin Fortuna. Und diese Nachkriegszeit, in der die Handlung spielte, kannte ich aus eigenem Erleben, das Ausgehungertsein auf allen Gebieten. Ein Senkrechtstart, mit dem eine kurvenreiche Karriere begann", erinnert sich Eva-Maria Hagen.

Schauspielerin wollte sie schon immer werden, schon als Kind. Geboren 1934 in Költschen an der Warthe, wächst sie dort und später im pommerschen Kremlin auf. 1945 muss ihre Familie umsiedeln, nach Perleberg. Ihre Maschinenschlosserlehre im Bahnbetriebswerk und RAW Wittenberge ist nur Zwischenstation - sie geht nach Berlin an die Schauspielschule. Mit 19 Jahren steht Eva-Maria Hagen das erste Mal auf der Bühne - in "Katzgraben" unter der Regie von Bertolt Brecht. Sie heiratet, 1955 wird Tochter Nina geboren. Später ist sie am Maxim-Gorki-Theater engagiert, spielt in Kinoproduktionen und Fernsehfilmen, u. a. "Meine Freundin Sybille", "Ware für Katalonien", "Brot und Rosen", "ABC der Liebe", "Die Fahne von Kriwoj Rog", "Nelken in Aspik", "Wolf unter Wölfen", "Zum Beispiel Josef", "Ein Glas Wasser". Eva-Maria Hagen ist eine der populärsten Schauspielerinnen der DDR.

Im Mai 1965 dann eine schicksalhafte Begegnung, die ihr Leben grundlegend verändern sollte. Sie lernt den Liedermacher Wolf Biermann kennen - ist fasziniert von ihm als aufrechten Künstler und als Mann. Sie ist begeistert von seinen Texten und seiner Musik - Lieder, die er geschrieben hat, auch speziell für sie, prägen ihre erfolgreiche Laufbahn als Sängerin bis heute.

Der lange Arm der Mächtigen

Doch Biermanns kritischer Blick ist den DDR-Oberen ein Dorn im Auge. Und auch Eva-Maria Hagen bekommt den langen Arm der Mächtigen bald zu spüren. Sie wird bespitzelt, drangsaliert, wegen einer Lappalie stundenlang verhört - sie erhält immer weniger Rollen- und Auftrittsangebote. 1976 protestiert sie wie einige andere Künstler auch gegen die Ausbürgerung Biermanns - ein Jahr später wird ihr die Staatsbürgerschaft aberkannt. Sie siedelt nach Hamburg über.

In der Hansestadt fängt sie noch einmal bei Null an. Trotz aller Demütigungen, Trennungen und der Entwurzelung - ihr Lebensmut, ihre Energie lassen sie weitermachen. Sie spielt wieder Theater, singt, ist mit ihren Liederprogrammen im In-und Ausland unterwegs. Denn das ist es, was sie vorantreibt, ihr unbedingter Wille, auf der Bühne zu stehen, die knisternde Atmosphäre vor den Auftritten zu spüren, die Erwartungen des Publikums und der Augenblick, wenn der Funke überspringt… Und sie wirkt wieder in vielen Filmen mit, u. a. in "Für die Liebe ist es nie zu spät", "Der Dicke: Schlafende Hunde", "Schröders wunderbare Welt", "Die Frau des Heimkehrers", "Der Verleger", "Herzsprung".

Zurück in die Heimat und die Kindheitslandschaft

 Den Fall der innerdeutschen Mauer, die Wende, empfindet Eva-Maria Hagen "als eine große Genugtuung und als ein Geschenk des Himmels, mit dem im 20. Jahrhundert wohl kaum noch jemand gerechnet hatte". "Zu jener Zeit schrieb mir Wolf Biermann das Lied ,Sieben Leben hat die Katze'. Darin heißt es: ,…aber plötzlich fiel die Mauer - und die Welt war wieder rund.' Ich freute mich wie ein Kind, durfte wieder in meine Heimat fahren und nun sogar in die Kindheitslandschaft hinter der Oder zurück - nach über 50 Jahren", erinnert sich die Künstlerin, die es geschafft hat, Verbitterung über versperrte Chancen und zerschlagene Träume nie zuzulassen. Ihren "Weltschmerz" trage sie nicht zu Markte. Sie verarbeite ihn auf der Bühne, verleihe ihm in unterschiedlichen Rollen und Liedern Ausdruck. "Auf dem Weg bis ins Alter gab es zwar krasse Höhenunterschiede zu verkraften, Verletzungen, Abstürze… Aber da bin ich scheinbar wie die Elefanten. Die verziehen sich ins Dickicht, verlassen das gesellige Miteinander in der Herde, wenn sie krank sind oder schwach, um dort entweder zu sterben in aller Stille - oder wie neugeboren wieder auf der Bildfläche zu erscheinen und loszutrompeten, Lebensfreude zu verbreiten, in die Kamera zu lächeln, Fragen zu beantworten…", bekennt Eva-Maria Hagen.

Geschichten aus dem Abenteuerland

Singen, spielen, unterwegs sein, das hält die 73-jährige Künstlerin wach. Sie will die Herausforderung, "die Pferdestärken meines Motors verlangen ihre Umdrehungen". Einen Platz, wo sie Ruhe findet und Kraft schöpfen kann, findet sie zum Beispiel in der Uckermark, wo sie sich abseits ihrer großen Lebensmittelpunkte Hamburg und Berlin ein Refugium eingerichtet hat. Und sie verlässt es dann wieder gern, um das Fräulein Schneider im Musical "Cabaret" in Berlin und München zu spielen, im demnächst in der ARD laufenden Fernsehfilm "Das Glück am Horizont" mitzuwirken oder ein neues Programm mit jiddischen Liedern zusammenzustellen, Lieder, die Wolf Biermann ins Deutsche übersetzte.

Dass sie auch eine wundervolle Geschichtenerzählerin ist, beweist die kürzlich erschienene Hör-CD für Kinder "Eine Reise durchs Abenteuerland". "In den Kurzgeschichten geht es um ,Abenteuer', die man mit der ganzen Familie in Mecklenburg-Vorpommern erleben kann. Bei diesen Reiseerlebnissen gibt es zudem die Rubrik ,Großeltern und Enkel gemeinsam im Urlaub'. Und da ich mich in der Region so gut wie zu Hause fühle und selbst Enkelkinder habe, war ich entzückt von der Idee, die Geschichten zu interpretieren", erzählt die Schauspielerin über das Projekt, das im Auftrag des Tourismusverbandes zusammen mit der Rostocker Firma "FormartMedia" realisiert wurde.

Geschichten ihres eigenen Lebens spiegeln ihre Bücher wider, aus denen sie am 16. April auch lesen wird. Die mit der Carl-Zuckmayer-Medaille ausgezeichnete literarische Montage "Eva und der Wolf" enthält Tagebuchaufzeichnungen, Briefwechsel und Stasi-Berichte - ein berührendes, schonungsloses Zeugnis über den DDR-Alltag, über Liebe, Angst und Mut.

Zauberwesen und Phantasiegestalten

In "Eva jenseits vom Paradies" schildert Eva-Maria Hagen ihre Jahre bis zu ihrem Durchbruch als Schauspielerin. Wann hat sie ihren Film "Vergesst mir meine Traudel nicht" zuletzt gesehen? "Neulich, ein paar Ausschnitte nur, vielleicht aus Sorge, sentimental zu werden. Nein, nein, ich sehe mir lieber Sachen von meiner Enkelin Cosma-Shiva an, schaue nach vorn, trete selbst im Theater auf, schreibe, singe, male."

Noch ein Talent der Hagen: das Malen. Sie nennt ihre Werke "Traumbilder in Öl" - kraftvolle, poetische, sinnliche Bilder; Bilder über Liebe, Sehnsucht, Trauer; Bilder von Zauberwesen und Phantasiegestalten und dabei doch erdverbunden.

Eine Auswahl ihrer Arbeiten wird in einer Ausstellung ab Mittwoch im Schweriner Verlagshaus unserer Zeitung zu sehen sein. Sie wird aus ihren Büchern lesen und singen. Was? Da muss sich das Publikum überraschen lassen:"Das weiß ich jetzt noch nicht genau, nur die Richtung. Ich habe meine Gitarre dabei, improvisiere auch gern. Da bin ich ganz spontan."

Schweriner Volkszeitung, 12. April 2008 | von Silvia Müller

 

 

 

 

 

 


Lütow auf Usedom

 

 


Nina


Wolf 1969

 


Traumpaar


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