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Wie ist die Welt so stille

Eva-Maria Hagen zaubert viele Kapitel deutscher Kulturgeschichte auf die Bühne des K 14.   Gesungene und gesprochene Lebenslinien zwischen Brecht und geballter Erotik

Es waren drei Sternstunden in der ohnehin kaum vergleichlichen Geschichte des K 14.
Kulturell unnachahmlich, politisch außerordentlicher Geschichtsunterricht mit Gegenwartsklugheit und auf der kargen Bühne schlichtweg ein Genuss für die Ewigkeit. Eva-Maria Hagen.


"Der Mond ist aufgegangen ..." Und was für eine Frau, was für ein Weib glänzt in seinem nächtlichen Schein. Das Gesicht von Lebenslinien wie ewiger Jugend gleichermaßen gezeichnet, braucht die Schauspielerin, Diseuse, Malerin, Autorin und wahre Eva kaum den Hauch eines Augenblicks, sich die Menschen zu Füßen zu legen. Nicht nur, weil sie die Bühne eh einen halben Meter überragt.

Lesung, "Eva jenseits vom Paradies". Die Hagen schlechthin liest nicht, sie rezitiert auch nicht, einem Parforce-Ritt gleich galoppiert sie durch ihre rund 71 Lebensjahre, die Ohren weiten sich zwischen Krieg und Frieden, zwischen flacher Uckermark und pseudosozialistischer Mauer: "Die Gedanken sind frei, kein Mensch kann sie missen, kein Jäger erschießen. Es bleibe dabei, die Gedanken sind frei." Halleluja.
... und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar". Wenn das Kulturwunder in Grau nachgerade zärtlich zur Gitarre greift, ist selbst Atmen untersagt. Demütig verbrüdert sich Eva-Maria Hagen als Soldatin der Freiheit gegen den Krieg, ehrlich, unverrückbar, Töne traumschön modellierend. Die endlos lyrische Stimme geht nicht unter die Haut, sie singt sich weit tiefer, eine Innerlichkeit der besonderen Art - "Wie ist die Welt so stille".

Zwischen Rosenmontag und Aschermittwoch gezeugt, berlinert Eva-Maria Hagen die Sehnsucht nach einer - vielleicht nie gefundenen - Heimat. "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten",

"Ich möcht als Spielmann reisen –

weit in die Welt hinaus –

und singen meine Weisen..."

auch Heinrich Heine war rastlos auf der Suche. Großmutter Hagen aber ist nicht traurig. Sie ist geballtes Leben, immer bei der (erfolgreichen?) Findung der Lust an eben demselben. "Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen, und ist doch rund und schön."

Am 17.Juni 1953 ist sie noch nicht mal 20, sie hat die Panzer gesehen, Erinnerung an den Krieg, sie arbeitet mit Brecht (was bei dessen Frauenbild verwundert) und singt den Gassenhauer, auf den alle warten: "...aber dennoch hat sich Bolle, janz köstlich amüsiert." Pfingsten war gestern, kein Sonderzug nach Pankow, aber 'ne volle halbe Stunde hängt Eva mindestens noch dran, amüsiert uns ganz köstlich. Und wenn sie, nicht geläutert, sondern gewachsen, über mehr als nur zwölf Jahre missbrauchtes deutsches Volkslied singt, denn entdeckt ihre wunderbare Interpretation eine deutsche Seele fernab von Nationalismus und Nationalsozialismus: Eva-Maria Hagen intoniert die größte aller Tugenden, die alles umspannende Kultur. "Ich möcht' als Spielmann reisen, weit in die Welt hinaus, und singen meine Weisen, und geh'n von Haus zu Haus."

 Die Botschaft hör' ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube. Eva-Maria Hagen hat als Kind einem russischen Soldaten in die Gewehrmündung geschaut: "Es wäre schade gewesen um mich." Jesses, Erotik klammheimlich: "Hör' ich das Mühlrad gehen, ich weiß nicht, was ich will, ich möcht' am liebsten sterben, dann war's auf einmal still. "Eva-Maria Hagen hat versprochen, wieder zu kommen 

 Artikel

 

Die Hagen
1934 geboren, ganz und gar nicht alt. Eva-Maria Hagen aus Pommernland lebt heute mal hier, mal dort, Hamburg, Berlin, Uckermark. Sie war eine der größten Schauspielerinnen in der DDR, flog im Sog der Ausbürgerung von Wolf Biermann aus dem Arbeiter- und Bauernstaat, Biermann scheint heute beinahe vergessen, die Hagen ist Kult. Tochter, Enkelin, die ganze Palette. Nina ist selbst Ikone, schrill, verrückt, schräg, Haarfarben in den Landesfarben dieser Welt, die Beine gelegentlich gespreizt. Cosma Shiva, Bühne und Kamera. Ohne jedweden Zweifel eine der größten Begabungen, die je auf einer deutschsprachigen Bühne gestanden hat, komplettiert eine Familie starker Frauen, die nicht nur im "Playboy" (Männer)-Phantasien weckte. Vielleicht braucht es die Poesie zu begreifen, dass Hagen nicht nur in Westfalen liegt.   m-s

 

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