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Unter den Augen der politischen Polizei

zum Buch von Eva-Maria Hagen EVA UND DER WOLF

Eine Rezension von Herbert Schwenk


  Im Vorwort gibt sich Wolf Biermann gelassen distanziert, fast unterkühlt. Er habe sich „weder direkt noch indirekt an diesem Projekt beteiligt“, baut er untertreibend vor. „Also warte ich auf das Buch mit Interesse, mit Neugier wie manch anderer auch und lasse mich überraschen.“ Mag letzteres stimmen, ersteres keineswegs. Ohne Wolf Biermann würde es weder dieses gelebte Leben der Eva-Maria Hagen noch dieses Buch geben. Biermanns Lebensgeschichte beeinflußte ganz erheblich die der Eva-Maria Hagen, und er war damit unbedingt in dieses „Projekt“ involviert!

Im Mittelpunkt des „Projekts“ steht die große Liebe zwischen der bekannten Schauspielerin und Sängerin Eva-Maria Hagen und dem 1976 aus der DDR ausgebürgerten Liedermacher Wolf Biermann. Es beschreibt vom „Biß in den Apfel“ bis zur „Abtreibung aus dem Paradies“, der Ausbürgerung Eva-Maria Hagens aus der DDR im März 1977, in neun Abschnitten die Jahre zwischen 1965 und 1977, in denen sich ihre Liebe unter den sehr unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen beider in der DDR bewähren mußte. Das Buch beeindruckt in erster Linie durch den erstmals veröffentlichten Briefwechsel, der eine leidenschaftliche Liebe dokumentiert, voll praller Sinnes- und Lebenslust - trotz aller Widrigkeiten, die beiden widerfahren sind. Beide gingen meist territorial weit voneinander getrennt ihren beruflichen Aufgaben nach, und das Briefeschreiben war in jenen Zeiten einzige Brücke ihrer Gefühle. Alle Romeos und Julias dieser Welt könnten sich an Eva und ihrem Wolf viel abschauen! Ich kann mich nicht erinnern, je ein Buch gelesen zu haben, in dem so viele Liebes-Kosenamen aufgeführt sind wie in diesem. Jeder Lover könnte da sein Repertoire an Liebesworten erweitern, insbesondere dank Wolf Biermanns phantasievollen Wortschöpfungen - von Honigbiene, Süßtier, Liebmolch, Sonnenblume, Nachtschattengewächs, herbliebliche Steinnelke, Knubbelfußschweinchen, Schweinebohne, Saftbirne, Tollkirsche, Wonne-Schrecken, muscheliges Bäh-Schaf, Distelzweig mit der rosigen Blüte, Ananas-Whisky-Kruke bis Honigarschmaul und Stoßseufzern wie diesem: „Eva, meine aprilwettrige Liebe, meine Schnee-Hagel-Sommer-Sonnen-Regen-Kälte-Hitze-Geliebte! Was hast Du mit meiner armen Seele gemacht, die so über-übertrieben auf den leisesten Hagen Hagelschauer reagiert!“

Und dennoch: Trotz der sehr privaten Einblicke, die Eva-Maria Hagen in ihr und Wolf Biermanns Leben gewährt, ist der vorliegende Teil ihrer Lebensgeschichten auch ein politisches Buch. Es beschreibt vor dem Hintergrund „schön bewegter Zeiten“ (Biermann im Vorwort) das Alltagsleben zweier prominenter Künstler, die sich zunehmend an den gesellschaftlichen Verhältnissen der DDR rieben und nicht gewillt waren, sich blind anzupassen. Dabei waren beide in dem Zeitraum, den das Buch umspannt, durchaus überzeugte Anhänger der marxistischen Weltanschauung. Mehrfach bezeichnete sich Biermann als Kommunist, frotzelte Eva mit „Geliebte Genossin“ und lehrte Eva-Maria Hagens Tochter Nina als Teenager: „Kommunisten müssen nicht nur furchtloser und aufrichtiger sein als die kleinkarierten Streber, die sich auf ein erfolgreiches Leben als gutbezahlte Spießer vorbereiten - Kommunisten müssen auch gebildeter sein als die Mickymäuse, denn wozu nutzte sonst ihre Furchtlosigkeit und was wollten sie durchsetzen!“ (S. 184) Biermann schrieb dies übrigens Ende August 1968, trotz Einmarsches der Sowjettruppen in die CSSR ... Aber er sah zunehmend die Unvereinbarkeit zwischen marxistischer Theorie und realsozialistischer Praxis, beklagte sich über die „Scheißhausdialektik“ des Sowjet-Alltags, geißelte die „stalinistischen Phrasendrescher“ und ihre Selbstvertröstung auf kommende Zeiten und prophezeite angesichts des Leninmonuments auf dem Berliner Leninplatz: „Wehe, wenn diese Steine lebendig werden ... Dann wird Lenin vom Sockel springen und die revolutionären Mickeymäuse bei den Ohren nehmen ...“ (S. 321)

Auch Eva-Maria Hagen hält nicht verborgen, daß sie „ein legitimes Kind der Deutschen Demokratischen Republik“ und ihre „Zentrale“ ein Bienenstock war, in dem es „summt in den Honigwaben, Bienchen Engels, Brummer Marx, Havemannstacheln ...“ Sie ging ihren Weg als prominente DDR-Kulturschaffende, durfte auf Veranstaltungen mit H. Sindermann plauschen und E. Mielke tanzen, „Frontbetreuungstouren“ unternehmen, am 13. August 1961 auf NVA-Panzern mit der Gitarre Lieder vorspielen und in zahlreichen Filmen des „sozialistischen Realismus“ mitwirken (beispielsweise in „Vergeßt mir meine Traudel nicht“ mit Günther Haack und in „Dr. Schlüter“ an der Seite von Otto Mellies), östliche Länder bereisen und an Landestheatern in der „Provinz“ ihren Ruf als „sozialistische Hexe“ auskosten sowie kleine Privilegien wie einen weißen Skoda Sport „Felicia“ genießen. Aber sie empfand es mehr und mehr als „eine ausgemachte Schurkerei“, daß Biermann nicht singen durfte. Ihre Opposition wuchs und erhielt dank Biermanns „Anstiftung reichlich Kraftfutter“. Sie vergötterte Biermann als „Leuchtturm im Nebel“, aber sie mahnte ihn auch, keine negativen Typen zu besingen, sich nicht „für Propaganda-Zwecke“ des Westens mißbrauchen zu lassen: „Sieh auch das Positive, die Wechselseitigkeit.“

Seit Ende 1965, nach dem 11. Plenum des ZK der SED, wurde auch der politische Druck gegen Eva-Maria Hagen immer größer. „Überall ecke ich an Deinetwegen“. Sie erkannte, daß das Problem in der DDR nicht Biermann ist, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse im argen liegen. Obwohl sie nicht alles verstand und akzeptierte („Ich hab einen Nachholebedarf, den Ehrgeiz, mitreden zu können oder zumindest ,beredt‘ zu schweigen“), stand sie zu ihm, nahm Unannehmlichkeiten, Diskriminierungen, Repressalien und am Ende das Berufsverbot in Kauf. „Ohne Dich“, schrieb sie am 5. Mai 1970 an Biermann, „wäre dieses Land für mich zu schwer.“ Biermann blieb ihr „Fels in der Brandung, Hexenmeister, Verzauberer“. Sie zahlte einen hohen Preis für ihre große Liebe. Im Januar 1967 kam es zur ersten Krise, später folgten weitere. Es gehört zu den starken Seiten des Buches, daß Eva-Maria Hagen auch ihre Zerwürfnisse mit Biermann nicht ausspart, wenn dies auch leider zu knapp geschieht. Sie empfand dies als „grausamen Schicksalsschlag“, den der Leser aber nur schwer nachvollziehen kann, weil ihm nähere Umstände verborgen bleiben.

Dies hängt offenkundig mit der Struktur des Buches zusammen. Dessen Anlage ist denkbar einfach. Eva-Maria Hagen läßt - abgesehen vom Vorwort Biermanns - nur Dokumente aus jener Zeit sprechen: ihren ausgiebigen, zeitweise täglichen Briefwechsel mit Biermann, ihre Tagebuchaufzeichnungen sowie Berichte von Mitarbeitern des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Da die Quellen synoptisch angeordnet sind, das heißt, einzelne Begebenheiten aus unterschiedlicher Sicht der Quellen wiedergegeben werden, macht es die Autorin den Lesern nicht leicht, den Geschehnissen zu folgen. Es fehlen mitunter verbindende Erklärungen, Erläuterungen, Kommentare, ergänzende Angaben zu Geschehnissen und zur Einordnung der zahlreichen Fakten und Personen. Auch das mehrseitige Personenregister im Anhang vermag diesen Mangel nicht zu kompensieren. So heißt es dort z.B. zur Person Kurt Hagers nur lapidar: „SED-Politiker“. Aber ein großer Teil des Buches beschreibt die Auswirkungen des 11. Plenums des ZK der SED vom Dezember 1965, auf dem Kurt Hager eine bedeutende Rolle spielte! Auch über Robert Havemann, eine wichtige Person im Leben beider, erfährt der Leser nichts Erläuterndes. Selbst Matti Geschonneck, der für Eva mehr als nur „Regie- Student“ war, kommt leider viel zu kurz weg. Auf diese Weise dürften so nur „Insider“ an einigen Stellen den Texten folgen können.

Zu den besonders nachhaltig wirkenden Stellen des Buches gehören die eingestreuten ausführlichen Informationsberichte der DDR-Staatssicherheit über Eva-Maria Hagen und Wolf Biermann. Es sind dies Dokumente der Hilflosigkeit, Peinlichkeit und Borniertheit zugleich. Hilflos, weil das MfS einer großen Liebe gegenüber machtlos dasteht; peinlich, weil das Private bis in die Intimsphäre ausspioniert wird; borniert, weil die Geistlosigkeit der IM’s aus jeder Zeile ihrer Berichte spricht. Beide wußten, daß sie im Visier der Staatssicherheit stehen, daß ihre Liebe in der DDR staatlich „beaufsichtigt“ wurde. Biermann kennzeichnet es als eine „verliebte Korrespondenz unter dem Auge der politischen Polizei“, die den Charakter von Schattenbildern annehmen mußte: „Unsere Gedanken, sogar unsere Gefühle und völlig unser wirkliches Handeln kommen in den Briefen zum Ausdruck, wie Elemente der Wirklichkeit sich in der Platonschen Höhle als Schatten auf der Rückwand abbilden. Aber wir beide haben ja gelernt die Schattenrisse zu entziffern ...“ (S. 309) Voller Zorn über die Bespitzelung notierte Biermann von seiner Berliner Wohnung in der Chausseestraße aus, die er als „Luxusknast“ empfand, Grüße an die „Stasi-Krüppel“ auf das Innen-Kuvert und beschimpfte sie in den Briefen, wissend, daß es sie erreicht, als „Langohren, Stielaugen und Schnüffelschnauzen“. Fassungslos verfolgt der Leser die ebenso infamen wie dümmlichen Berichte der MfS-Spitzel, etwa dergestalt: „Emma unterhält sich mit Wolf. Wolf meint, daß... Eva einen Vogel hat. Emma sagt, wie Eva so etwas denken kann. Sie ist ganz empört über Eva. Emma meint, daß Wolf aber auch einen Knall hat ...“ (S. 110)

Beeindruckend ist auch Eva-Maria Hagens Hilferuf an Lotte Ulbricht, die Ehefrau des damaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, vom 9. September 1970. Ausführlich beschreibt E.-M. Hagen ihr Engagement für die DDR, bekennt sich zur Liebe mit Wolf Biermann, protestiert höflich gegen die beginnenden beruflichen Diskriminierungen, um schließlich, von Frau zu Frau, um eine gerechte Behandlung zu bitten. Aber sie findet selbst hier ein kaltes Herz und taube Ohren: Der Staatsrat der DDR (!) behandelte dies als „Eingabe“ und sagte zu, daß dieselbe „durch die dafür verantwortlichen Staatsorgane überprüft“ werde - natürlich ohne greifbares Ergebnis.

Im Vorwort bringt Wolf Biermann auch diese Hoffnung zum Ausdruck: „Das Buch könnte ganz nebenbei das Wichtigste liefern: ein buntes Breughelsches Sittenbild aus DDR-Zeiten...“ Ganz unbestritten ist das, was Eva-Maria Hagen auf über 500 Seiten ausbreitet, buntes Leben „in schön bewegten Zeiten“. Aber ein „Sittenbild aus DDR-Zeiten“? Mir erscheint dieser Anspruch etwas zu hoch gegriffen. Dazu sind der Sektor der Gesellschaft und die Art der Lebensverhältnisse, die im Buch beleuchtet werden, zu begrenzt. Gern hätte man mehr über Umfelder und Wirkungsradien der Hauptpersonen erfahren, aber auch über das, was sich außerhalb der vorgestellten Lebensabschnitte beider ereignete. Ein ausführliches Nachwort zum Beispiel könnte sich dieses Anliegens annehmen. Im übrigen wirken gerade die letzten beiden Abschnitte vor der Ausbürgerung (1973 bis 1977) besonders gerafft und unter großem Zeitdruck entstanden.

Das vermag jedoch den nachhaltigen Eindruck nicht zu trüben, den das Buch beim Leser hinterläßt. Es ist ein sehr persönliches politisches Buch, das viel menschlich Anrührendes enthält, aber auch vieles, was zornig macht. „Ins lebendige Leben“, schrieb Eva-Maria Hagen am 29. März 1968 in ihr Tagebuch, „führt eben kein schnurgerader Pfad."

© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

 

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