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Keine Liebe ohne Stachel

Konzert: Eva-Maria Hagen feiert Brecht

 Eva-Maria Hagen kennt ihren Brecht genau - im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern, die seine Verse sprechen und singen. Hagen, die Großmutter unter den Brecht-Interpretinnen, arbeitet sich dabei noch immer frisch an ihm ab, erweist ihm ihre Reverenz, zeigt ihm die Zähne. Der Meister des Wortes, dieser dialektische Fallensteller und misstrauische Weltbeschauer, kann mit seiner ehemaligen Theater-Schülerin zufrieden sein.
Eva-Maria Hagen, auf Einladung von Weverinck zu Gast in Münsters Landesmuseum am Domplatz, findet immer wieder neue Stellen im ausgewählten Repertoire des genialen Sprachschöpfers, die durch ihre Stimme und durch ihre Betonung zu neuem Leben erwachen. Brecht muss man gegen den Strich bürsten, sonst entgeht einem die spannende Brisanz seiner Worte: der politisch garstigen wie der liebreizenden, der frivolen wie der satirisch stechenden. Hagen schleift die Ecken und Kanten der Brechtschen Brocken nicht ab, sie reibt sich daran auf, setzt Akzente, pointiert und dramatisiert. Selbst in den Liebesliedern kommen bei ihr die Widerhaken zum Vorschein, die Brecht nach jeder schmeichelnden Passage eingebaut hat - wohlweislich der Erkenntnis, dass die enge Beziehung zweier Menschen mehr ein steter, heftiger Kampf ist als ein fortdauerndes, einschläferndes Friedensabkommen. Da können auch schon mal die Tränen fließen wie bei der ergreifenden Fassung von „Surabaya-Johnny", dem Höhepunkt des Abends: „Du hast kein Herz, Johnny, und ich liebe dich so."
Die 1934 geborene Sängerin gurrt und schnurrt sich durch die Poesie, sie wird energisch und aufbrausend, spielt keck und frech mit den Zeilen. Der Pianist Siegfried Gerlich, sieben Jahre lang ein intimer Freund der Künstlerin, hält dagegen und spielt mit. Vielleicht manchem etwas zu aufdringlich und übertönend. Aber Brechts Lyrik bedarf der zarten Zurückhaltung nicht, sie will weder gesungen noch gesprochen schön klingen, weil sie nichts schön redet.
Die Komponisten Kurt Weill und Hanns Eisler oder auch Wolf Biermann haben sich darauf eingestellt. Ihre wider-borstigen Kompositionen, mal an die melancholischen Klänge von Küchenliedern erinnernd, mal als bizarre Tongebilde die stimmliche Verquickung kräfteraubend fordernd, verlangen nicht nur Vokalgewalt, sondern stete Wachsamkeit - sowohl von der Interpretin wie von den Hörern. Hagen meistert die melodramatische Aufgabe mit Bravour. Sie tingelt durch Bordelle und Hafen-Kneipen, fleht im Liebesschmerz nach Erlösung, kratzt an den Banalitäten des Lebens und krallt sich in Weltuntergangsstimmungen fest.
Nur einmal weicht sie vom Brecht-Programm ab. In der dritten Zugabe erweckt sie das Jiddische, diese ermordete Sprache, zu neuem Leben. „Bei mir bist du schön", singt sie fröhlich, dabei sichtlich erfreut über die rege Resonanz im Publikum. „Die im Dunkeln stehen, sieht man nicht", hat Brecht einmal gesagt.
Eva-Maria Hagen steht im Licht und strahlt.
 

– Münstersche Zeitung –

 

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