Zurück zum Portraits Verzeichnis

NORDKURIER

Artikel vom 16.10.2009

Träumerin mit Bodenhaftung


Filmlegende Eva-Maria Hagen kann auf ein bewegtes Leben mit Höhen und Tiefen zurückschauen. In zwei Tagen wird die 'Brigitte Bardot des Ostens' 75.
Von Gitta Dietrich

Artikel als pdf-Datei lesen.

Neuruppin. Die Wangen rosig, lacht sie wie ein junges Mädchen. Eva-Maria Hagen ist nicht nur im Herzen jung geblieben. Ihr Alter ? kaum zu glauben. Vor einem Auftritt in der Neuruppiner Galerie 'Am Bollwerk' eilt sie flink umher und sucht nach ihrer geliebten 'Geige', wie sie neckisch ihre Gitarre nennt. In der viel zu engen Garderobe tummeln sich Gäste, die sich ihrer Jacken entledigen und die dort sitzende Hagen bestaunen. Sie erwärmt die kalten Hände mit ihrem Atem, stimmt die Saiten des Instruments und ruft sich leise Liedzeilen ins Gedächtnis. Ständig setzt sie von Neuem an, lässt sich vom Gewimmel ablenken. Noch immer quält Eva-Maria Hagen das Lampenfieber, so als wäre es das erste Mal.

Ihre 'Geige' hat die Sängerin und Schauspielerin schon ihr ganzes Leben begleitet. "Als Fünfzehnjährige bin ich mit der Gitarre über der Schulter losgezogen und habe die Leute und dabei mich natürlich prima unterhalten", erinnert sich die Künstlerin. Schon zu jener Zeit hat sich die spätere DDR-Filmikone nichts vorschreiben lassen. "Ich wusste bereits früh, dass ich meinen eigenen Weg finden muss: Bin ausgerissen, um die Welt zu erkunden, wurde zurückverfrachtet vom Jugendamtmann, doch vergebens, tags drauf war ich wieder auf und davon."

Ihr Pommern, wo sie bis zu ihrem zehnten Lebensjahr aufwuchs, musste Eva-Maria, damals noch Buchholz, nach dem Krieg gegen das brandenburgische Perleberg eintauschen. "Die Kindheit war meine Heimat. Nach der Vertreibung gab es diese Art von Geborgenheit nicht mehr, dafür ein oft spannendes Unterwegssein. Deshalb war ich jedoch nicht heimatlos. Es waren hauptsächlich Menschen, die mein Lebensgefühl mitbestimmten."

Gerade dem Teenager-Alter entschlüpft und einer Lehre zur Maschinenschlosserin in Wittenberge entronnen, besuchte sie 1952 eine Schauspielschule im aufregenden Berlin. In der Großstadt traf sie ganz unbedarft auf einen der bedeutendsten Theatermacher. „Die Begegnung mit Bertolt Brecht war für mich als blutjunges Ding ein wegweisender Fingerzeig, zumindest, was seine Lieder betraf. Auch gab er mir in der Hungerszeit was von seinem Frühstück ab, sorgte sich um mich.“ Er war es auch, der die angehende Jungschauspielerin auf die Bühne des Berliner Ensembles holte, wo sie in Erwin Strittmatters „Katzgraben“ ihr Debüt gab.

Zum Durchbruch verhalf ihr schließlich 1957 die Hauptrolle in Kurt Maetzigs „Vergeßt mir meine Traudel nicht“, welche ihr den Titel der „Brigitte Bardot des Ostens“ einbrachte. „Das war nicht offiziell, erst im Nachhinein ist es so formuliert worden“, beschwichtigt sie. „Brigitte Bardot war damals wohl weltweit das erotischste weibliche Wesen – ja und im kleinen Dörfchen DDR hatte ich das Glück, gleich als Anfängerin die kleine raffiniert-naive Ausreißerin Traudel spielen zu dürfen, die, teils nur mit einem Handtuch umwickelt, durch die Dekoration läuft.“

Dass sie in jenen Tagen schon mit Regisseur Hans Oliva-Hagen verheiratet war und zu Hause die erst zweijährige Catherina, spätere Nina Hagen, auf ihre Mama wartete, schadete ihrem Image nicht. Bis 1965 galt sie als weiblicher Liebling der Nation und wirkte in rund 50 Film- und Fernsehproduktionen mit. Als Liedermacher Wolf Biermann Mitte der 60er-Jahre in ihr Leben trat, legte sie die Rolle des naiven Blondchens ab. Die vormals unbekümmerte Eva ließ sich von seinen Liedern, seiner Kritik am Staat und von der starken Persönlichkeit Biermanns inspirieren. Als er Auftrittsverbot erhielt, unterstützte sie ?ihren? Wolf in der sieben Jahre währenden Beziehung auch finanziell. ?Ich habe viel von ihm gelernt. Er sicher einiges auch von mir. Jeder hat vom anderen genommen, was für ihn gut war. Und gewachsen ? mitunter auch verzweifelt ? bin ich durch die menschlichen und gesellschaftlichen Vorgaben, Erfahrungen, die das Leben halt lieferte?, sagt Eva-Maria Hagen heute. In diesen Jahren spürte sie am eigenen Leib, was es bedeutet, auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden. Nach ihrem öffentlichen Protest gegen die Ausbürgerung Biermanns wurde ihr damaliges Engagement fristlos gekündigt. Beruflich wurde sie ausgehungert. Damit erging es ihr wie vielen anderen kritischen Künstlern. 1977 verließ sie schließlich freiwillig die DDR. ?Es hat einige Zeit gedauert, mich zu entschließen, diesen Schritt zu tun, denn ich war trotz meiner kritischen Haltung der politischen Verhältnisse gegenüber tief verwurzelt in diesem Land. Es war mein Zuhause. Aber ich habe es nie bereut: Im Westen konnte ich mich als Künstlerin erst entfalten und mit meinem reichen Liederschatz präsentieren."

Eva-Maria Hagen geht offensiv mit Erlebtem um. Ihren prägenden Lebensabschnitt mit Biermann beschrieb sie 1998 in dem Buch „Eva und der Wolf“, in dem sich auch persönliche Briefwechsel finden. Die Publikation „Evas schöne neue Welt“ zog sie 2000 in letzter Minute zurück. Tochter Nina hatte wegen verletzter Persönlichkeitsrechte eine Einstweilige Verfügung erwirkt. 2006 erschien schließlich ihr jüngstes Buch „Eva jenseits vom Paradies“.

Auch vor der Veröffentlichung ihrer Stasi-Akten unter anderem im Internet scheut sie sich nicht. "Teils habe ich Ausschnitte ausgewählt, über die man sich amüsieren kann, die jede Banalität der sogenannten ,Subjekte' wie eine Staatsaffäre beschreiben, dann solche, die Verbesserungsvorschläge machen, wie man Misstrauen schürt unter den ,operativ zu erfassenden Personen', sie zielgerichtet zersetzt." Neben aller Empörung über die Rückgratlosigkeit einzelner Aufschreiber habe Eva-Maria Hagen vor allem auch das Psychologische und Romanhafte an dieser Tätigkeit interessiert und die Dokumentation der Lächerlichkeit, des hinterhältigen Verhaltens eines solchen Lebens. Die heute in Berlin und Hamburg lebende Schauspielerin sinnt nicht auf Rache. "Wenn jemand der Berichterstatter das Gespräch suchte, sich entschuldigte, konnte man sagen: Schwamm drüber. Aber von Verleumdern und Fallenstellern, Zynikern aus Frust am eigenen Leben und Lust an der Zerstörung andersdenkender Zeitzeugen wende ich mich angewidert ab und gehe meiner Wege." Sie ist eine starke Frau, genau wie ihre exzentrische Tochter Nina und Enkelin Cosma Shiva, die als Schauspielerin in die Fußstapfen ihrer Großmutter tritt. "Es muss wohl was dran sein, dass außer äußerlicher Ähnlichkeit auch innerliche Werte vererbt werden. Meine Mutter Agnes und auch Großmutter Antonie waren ebenfalls starke Frauen, wie viele ihrer Generationen, welche die Trümmer der Weltkriege wegräumten und mit dem Leid über den Verlust ihrer Männer und Söhne fertig zu werden hatten und nebenbei das Leben neu organisierten."

Doch es gab auch Momente im Leben der nunmehr fast 75-Jährigen, in denen sie nicht stark war. "Natürlich lernt man immer neu hinzu. Und sicher gab es Situationen, wo ich mich schwach gefühlt habe, es auch war und ich am Boden lag, dann aber doch noch die Kraft aufbrachte, mich aufzurichten."

Auftanken kann Eva-Maria Hagen, wenn sie Tagebuch schreibt. Die Faszination am eigenen Wort kann sie nicht erklären. Sie beschreibt es als einen Moment von Innehalten, etwas festhalten wollen zum Erinnern. Einen Rückzugsort aus dem Gewühl Hamburgs und Berlins fand sie bis vor Kurzem im Brandenburgischen. "Mein Refugium in der Uckermark habe ich – einerseits schweren Herzens und andererseits erleichtert – abgegeben. Man muss loslassen können, auch das Leben, wenn die Zeit dafür gekommen ist." Die Stille auf dem Land habe sie zeit ihres Lebens immer gebraucht, auf der anderen Seite den Trubel der Großstadt aber nicht missen wollen.

Zur Ruhe setzen möchte sie sich noch lange nicht. Auftritte wie zur Neuruppiner Ausstellungseröffnung zum Jubiläum des Mauerfalls nimmt sie nur allzu gern wahr. Dort singt Eva-Maria Hagen inbrünstig Lieder über die Liebe und das Leben. "Die Liebe war immer mein Haupt- und Lieblingsthema, der Kampf der Geschlechter, denn über Krieg und Frieden wird auch im Kuss entschieden. Und da jetzt der Herbst 1989 bereits 20 Jahre alt ist, ist es für mich eine gute Gelegenheit, Erlebnisse von damals zu erzählen, Aufzeichnungen vorzulesen aus der Glasnost- und Perestroika-Zeit, dem Wahnsinn im Freudentaumel der Wende. Ich habe nicht gedacht, dass ich dieses Ereignis noch erlebe." Ihre Geschichten von damals erreichen die Zuhörer auch an diesem Abend. Erheitert und neugierig auf die Erlebnisse der Eva lauschen sie ihr, stören sich auch nicht, wenn der Chansonette hier und da ein paar Strophenzeilen entfallen. Eva-Maria singt entrückt von der "Süßkirschenzeit" und ist ganz die vorlaute Göre mit Berliner Schnauze bei Brechts "Das Lied der verderbten Unschuld beim Wäschefalten". Eva-Maria Hagen lebt ihre Lieder. Sie tiriliert, spricht wie ein Kerl oder stöhnt laut auf, wenn es sein muss. Plaudert mit den anwesenden Kindern, die an ihren Lippen hängen und sich eine Oma wie sie wünschen. Die Künstlerin weiß, wie sie Groß und Klein in ihren Bann ziehen kann.

"Bisher hat mich Fortuna nicht im Stich gelassen und beschützt vor Buhrufen oder Gelangweiltsein des Publikums – möge sie mir rechtzeitig zuflüstern, wann Schluss zu sein hat mit dem Herz-auf'n-Tisch-Legen. Denn vor Ort ist es stets ein gewagtes Unternehmen, sich der überfütterten, andererseits nach Originalität und Authentizität hungernden Zuschauerschar auszuliefern.“ Demnächst wird Eva-Maria Hagen wieder auf der großen Kinoleinwand zu sehen sein. Dieses Jahr drehte die Unermüdliche mit Regisseur Leander Haußmann den Film “Dinosaurier“. Dafür stand sie zusammen mit Kollegen wie Nadja Tiller, Daniel Brühl und Benno Führmann vor der Kamera.

Doch nun feiert sie erst einmal ihren Geburtstag, auf den sie im Freundes- und Familienkreis mit einem Gläschen Rotwein anstoßen wird. Cosma gibt vielleicht Summertime, und falls Nina es schafft, wünsche ich mir, dass sie Ave Maria für mich singt, verrät die Jubilarin. Und vielleicht hört man schon bald wieder 'Neues' von der Eva, "Ich habe noch einiges in der Hinterhand, was ich gern auf die Reihe brächte oder auf die Bühne. Aber Ruhephasen sind schon nötig und werden auch genutzt. Festlegen möchte ich mich nicht. Denn das Träumen kann man halt nicht lassen ...."

Doch nun feiert sie erst einmal ihren Geburtstag, auf den sie im Freundes- und Familienkreis mit einem Gläschen Rotwein anstoßen wird. Cosma gibt vielleicht Summertime, und falls Nina es schafft, wünsche ich mir, dass sie Ave Maria für mich singt, verrät die Jubilarin. Und vielleicht hört man schon bald wieder 'Neues' von der Eva, "Ich habe noch einiges in der Hinterhand, was ich gern auf die Reihe brächte oder auf die Bühne. Aber Ruhephasen sind schon nötig und werden auch genutzt. Festlegen möchte ich mich nicht. Denn das Träumen kann man halt nicht lassen ...."

Gern greift Eva- Maria Hagen auch
heute noch zur „Geige“.
Foto: Dietrich

  Gern greift Eva- Maria Hagen auch heute noch zur „Geige“.
Gern greift Eva- Maria Hagen auch
heute noch zur „Geige“.
Foto: Dietrich

Archiv |  Kontakt  |  Shop |  Impressum | 

Inhaltsverzeichnis