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Gesänge im Brechtschen Stil produzierten Gänsehaut

Eva-Maria Hagen las in Rostock aus ihrem neuen Buch, sie spielte Gitarre zu Volksliedern und machte Mut, dass jedes Alter Lebensfreude kennt


Von ANETTE PRÖBER

Rostock (OZ) Es wird keine der ganz gewöhnlichen Buchlesungen, das ist von Anfang an klar. Rund ein hundert Damen und viel leicht ein dutzend Herren sind Donnerstagabend in die Rostocker Thalia-Buchhandlung gekommen, um Eva-Maria-Hagen, eine der erfolgreichsten DDR- Schauspielerinnen, zu erleben. Dabei hätte es sich gerade für die Männerwelt gelohnt, einmal hinzuhören, was die "Eva jenseits vom Paradies" - so der neue Buchtitel bei Ullstein - über Liebe, Lust und Leidenschaft mit ungestümer Lebendigkeit zu berichten weiß. Hätte sie nicht erzählt, dass ihre Tochter Nina gerade ihren 50. Geburtstag feierte, wäre kaum jemand auf den Gedanken gekommen, dass sie selbst schon 70 Jahre zählt. Ob denn ihre Freundin Edelgard im Saal ist, will Ewi-Maria Hagen gleich zu Beginn wissen. Natürlich, eine Dame in einer der vorderen Reihen nickt. Die Autorin ist sichtlich berührt, immer wieder schaut sie im Laufe des Abends in die Richtung und will wissen, ob sie die Kinderzeit in ihren Erzählungen gut getroffen hat. Denn ihr neuestes Buch beschreibt vor allem ihre Herkunft, die Zeit, bevor sich "aus einem hässlichen Entlein ein toller Schwan" entwickelt.
Beim Erzählen breitet sie die Arme wie Schwingen. Nie hat sie anders gekonnt, als zu schauspielern, sich vor Publikum zu produzieren. Schon als Kind liebte sie den Zirkus und das Vagabundenleben. Vor allem aber wohl die Freiheit. "Es gibt bei uns in der Familie das Bedürfnis der Weiber nach Unabhängigkeit, nach dem Freisein eines Vogels", erzählt Eva-Maria Hagen, und wohl jeder im Raum denkt zunächst an das Leben der Schauspielerin Eva und ihrer Tochter Nina. Erstaunt erfährt man dann, dass schon die Großmutter drei uneheliche Kindlein von drei Männern besaß und auch Mutter Agnes meist ohne das starke Geschlecht an ihrer Seite ihre Kinder großzog. Das Buch sei entstanden, sagt Eva-Maria Hagen, weil sie ihr Leben in der Öffentlichkeit nicht nur auf Wolf Biermann und ihre Beziehung zur Tochter reduziert sehen will. "Ich habe ein eigenes Leben und will zeigen, von wo ich komme." In der DDR habe man über das Leben der vielen Vertriebenen - die Familie stammt aus Hinterpommern - wenig gesprochen. Nicht sprechen dürfen. Doch Krieg und Flucht haben geprägt, Kinder viel mit ansehen lassen. Sie selbst stand mit der Familie bereits an einer Wand, auf die ein Rotarmist sein Gewehr richtete. Er brachte es aber nicht übers Herz, eine ganze Familie auszurotten. "Verlumpt, verlaust, nahezu verhungert" habe man schwierige Zeiten überlebt. Eine Zeit, die aber auch "die Lust auf Leben" hinterlassen hat. Ein Stichwort, das die Schauspielerin spontan zur Gitarre greifen lässt. Mit Wehmut und Leidenschaft singt sie das Lied vom Soldaten, der letzte Worte an seine Mutter richtet. Ein Gänsehaut-Song. Viele weitere folgen, darunter russische und deutsche Volkslieder. Mit ihren Liedern und Konzerten versuche sie einen "Brückenschlag über Generationen und Länder hinweg", sagt sieGanz nach dem Stile Brechts kitzeln sie große Gefühle und gro§e Gedanken. "Ich singe gem seine Lieder mit dem Schnabel, wie er mir gewachsen ist, und ich interpretiere sie so, wie ich sie verstehen kann." Und wie steht es um die Schauspielerei? - will eine Zuhörerin wissen. Eva-Maria Hagen erzählt, dass sie gerade in der Kinder-Serie "4 gegen Z" eine magische Erscheinung spielt und auch in einem Krimi der Soko Wismar mitmischt. Mit Herbert Köfer als ihren Partner. Augenzwinkemd verrät sie, dass sie sich "Jüngeres" an ihrer Seite hätte vorstellen können. Und schon kommt sie über Männer ins Schwärmen, über solche mit Charme, Witz und Geist. Und zur Überraschung mancher Zuhörer erzählt sie von einer ihrer langen Liebesbeziehungen zu einem Mann, der dreißig Jahre jünger war. "Die Zeit ist vorbei, wo wir Frauen uns was vorschreiben lassen." Die Botschaft des Abends ist eindeutig und Eva-Maria Hagen erntet beim Signieren Dank dafür: Vor dem Altwerden muss keiner Angst haben.

 



Artikel in der Ostseezeitung (PDF-File)

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