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„Ich glaubte, dass eine bessere Welt entsteht“

Rheinischer Merkur, 12.02.2009

Die Schauspielerin gehörte zu den Lieblingen der SED-Genossen, bis sie sich mit Wolf Biermann einlie?

Rheinischer Merkur: Wenn Sie heute TV-Sendungen über die DDR sehen – berührt Sie das? Eva-Maria

Hagen: Ja, oft wird mein Herz in Mitleidenschaft gezogen. Und Unbehagen befällt mich, wenn alles in Bausch und Bogen verdammt oder „ostalgischer“ Schrott serviert wird.

RM: Wie kamen Sie zum Theater?

Hagen: Schon als Kind hatte ich einen ausgeprägten Spieltrieb, kannte alle Märchen, war Gänseliesel, Prinzessin, Vorsängerin. Die Dorfkinder, mein Bruder und ich führten im Garten auf, was die Phantasie uns vorgaukelte. Dann die gro?e Entwurzelung: Zusammen mit der Dorfbevölkerung von Kremlin wurden wir 1945 nach Perleberg „zwangsversetzt“. Dort war ich in einer Tanz- und Laienspielgruppe. Wann immer ich konnte, rannte ich ins Kino, sah mir die alten Ufa-Filme an und kannte bald alle Dialoge und Lieder auswendig.

RM: In der Provinz führt aber kein Weg zum Ruhm.

Hagen: Deshalb bin ich wohl instinktiv öfter nach Berlin ausgerissen, wurde jedoch – da ich noch keinen Ausweis hatte – wieder eingefangen. Meine Maschinenschlosserlehre brach ich ab, bewarb mich an der Schauspielschule Berlin-Schöneweide und bestand die Aufnahmeprüfung. Aber es wurde hauptsächlich Theoretisches gelehrt, Gesellschaftswissenschaft, Marxismus-Leninismus, was ein lebenshungriges Mädchen nicht so interessierte. Deshalb sollte ich zur Festigung meines Charakters noch ein Jahr in die „Produktion“. Ich dachte mir: „Da kommst du doch gerade her“, ging meiner Wege und streunte wie eine ausgesetzte Katze um die Theater rum, schmuggelte mich rein zu Proben, fragte, ob ich mitmachen dürfte.

RM: Offenbar mit Erfolg, denn Brecht wurde auf Sie aufmerksam.

Hagen: Ich habe ihn bei den Proben zu „Katzgraben“ kennengelernt, wo ich eine kleine Rolle bekommen hatte. Die Gitarre hatte ich damals schon stets dabei. Da haben die Assistenten mich mal in einer Pause aus der Gasse geschubst und gesagt: „Spiel Brecht was vor, so was mag er.“ Ich trällerte ein paar Gassenhauer, zum Beispiel das „Bolle-Lied“, und er amüsierte sich wie Bolle.

RM: Wann kam der Durchbruch?

Hagen: Das war paar Jahre später. Erst einmal hatte ich geheiratet und meine Tochter Nina zur Welt gebracht. Danach wurde ich an einer Westberliner Schauspielschule aufgenommen, wo ich eine echte Ausbildung bekam. Die Grenze war ja noch offen. Mein Durchbruch kam mit dem Defa-Film „Vergesst mir meine Traudel nicht“ im Jahre 1957. Von da an war ich bekannt wie ein bunter Hund, ein Star sozusagen, aber so nannte man Publikumslieblinge nicht, sie waren mehr oder weniger so was wie Volkseigentum.

RM: Wie haben Sie die politischen Zeiten erlebt? Stalin, den Aufstand 1953.

Hagen: Ich hatte von politischen Zusammenhängen wenig Ahnung, glaubte wie viele andere, dass eine bessere Welt entsteht mit dem neuen „Gott“ Stalin, war froh, dass Menschen, die nicht reich und privilegiert waren, die Chance bekamen, zu studieren. Ich erinnere mich an Reaktionen, als Stalin tot war, ich befand mich gerade in der Defa-Kantine und musste weinen. Den Aufstand am 17. Juni sah ich mit eigenen Augen, als Steine flogen und russische Panzer vorrückten. Jetzt fängt wieder Krieg an, dachte ich und verzog mich an den Stadtrand von Berlin, wo ich ein Zimmer hatte in Falkensee.

RM: Sie waren unter den Parteioberen wohlgelitten. Lotte Ulbricht begrü?te sie, Erich Mielke forderte Sie bei festlichen Anlässen zum Tanz auf. Wie war es bei Hofe?

Hagen: Das ist übertrieben. Lotte Ulbricht habe ich einmal gesehen und die Hand gegeben beim Neujahrsempfang im Roten Rathaus. Und der deutsche „Jäger“ Mielke hat mich einmal und nie wieder zum Tanz aufgefordert. Als Künstler wurde man von der Konzert- und Gastspielagentur zu offiziellen Anlässen eingeladen oder verpflichtet.

RM: Es gibt Fotos von Ihnen aus der Zeit kurz vor dem Mauerbau, wo Sie vor Grenztruppen auftreten mit einem militärischen Schiffchen auf dem Kopf. Waren Sie die Marlene Dietrich der NVA?

Hagen: Nein, sondern ganz und gar die Eva-Maria Hagen der DDR. Gitarre spielte ich schon immer gern, und die Soldaten waren arme Jungs, die plötzlich zusammengezogen und an die Grenze verfrachtet wurden. Das war auch nicht einfach für sie.

RM: Waren Sie in der FDJ?

Hagen: Aber natürlich! Doch obwohl ich später den diskreten Hinweis vom Parteisekretär der Defa bekam, ich könnte doch in die Partei eintreten, sagte ich: Lieber nicht, da würde man mich bald wieder streichen, weil ich zu unberechenbar und eigenwillig bin.

RM: Die Begegnung mit Wolf Biermann veränderte Ihr Leben.

Hagen: Das kann man wohl laut sagen! Als ich ihn im Mai 1965 bei der Tonprobe für einen gemeinsamen Auftritt mit anderen Künstlern im Hallenser Steintor-Variete' traf und ihn singen hörte, war ich sofort entflammt. Seine Lieder und die Art, wie er sie vortrug, so entschieden, so direkt – das überzeugte mich. Im November 1965 wurde er dann verboten.

RM: Sie wurden ein Paar und in der Zeit seines Verbotes hielten Sie treu zu ihm und gefährdeten ihre eigene Karriere.

Hagen: Das war selbstverständlich. 1966 sollte Wolf mich von einer Probe in der Seelowstra?e abholen. Er nutzte die Gelegenheit, sang ein paar Lieder. Wir wurden verpfiffen. Wolf erhielt Hausverbot in allen Fernsehanlagen. Von mir verlangte man, ich solle mich nicht öffentlich mit ihm zeigen. Ich sagte empört: „Bei uns gibt es doch keine Sippenhaft!“

RM: Wurden Sie unter Druck gesetzt?

Hagen: Da ich die erste Schauspielerin war, die im Fernsehensemble eine Anstellung bekam, konnten sie mich nicht leicht rauswerfen. Sie haben mich seltener beschäftigt. Nur in der Provinz konnte ich noch auftreten. Meine Prominenz schützte Biermann sicher, sie hätten uns sonst sang- und klanglos verschwinden lassen können.

RM: Sie folgten Biermann ein Jahr nach seiner Ausbürgerung in den Westen. War es ein leichter Schritt für Sie?

Hagen: Heimat ist für mich da, wo meine Leute sind. Und da meine Tochter Nina und Wolf im Westen waren, was sollte ich dann noch da?

RM: War es im Osten schöner als im Westen?

Hagen: Wir waren jung. Im Osten wurde ich zu der, die mich im Westen nicht verloren gehen, sondern durch eingewachsene Kraftreserven von vorn anfangen lie?. Im Westen wurde ich wieder jünger, neugierig und beherzt genug, um mich auf den Weg zu machen, Eigenes auf die Beine zu stellen. Das ist mir gelungen.

Das Gespräch führte Andreas Öhler.
 

TV-STAR: Eva-Maria Hagen






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