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Ausschnitte aus einem Interview mit Ricarda Horn von Usedom



Ricarda Horn: Ich weiß noch, wie der Biermann dich bei uns vorstellte, nicht etwa: ›das ist die aus dem Film Vergeßt mir meine Traudel nicht‹, sondern ›das ist Eva-Maria Hagen, die hat sogar den Budjonny mal geküßt.‹ – In deinem Buch Eva und der Wolf, das aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen zusammengestellt ist, kommt diese Geschichte nicht vor. Würdest du sie für die Leser der OZ (Ostseezeitung) nochmal erzählen?

Eva-Maria Hagen: Es war auf dem Empfang beim Filmfestival in Moskau. Viele internationale Berühmtheiten und hohe Funktionäre aus dem Sozialistischem Lager waren anwesend, die Kosmonauten Gagarin, Leonow. Ich wurde dem Armeegeneral Budjonny vorgestellt, sehe noch seine Augen funkeln und wie er sich den stattlichen Bart zwirbelt. Ich küßte ihn, er mich. Er nannte mich begeistert ›Moladjez‹ – was soviel wie Prachtkerl bzw. Prachtweib bedeutet. Ein Trinkspruch nach dem andern folgte – wie das so üblich war.

R.H.: Ich würde sagen, du hast mit dem legendären Reitergeneral Budjonny am Anfang – und dem Biermann am Ende das ganze große Emanzipationsprojekt der Menschheit, das man die Moderne oder das sozialistische Zeitalter nennt, umarmt. Was würdest du nun zum Ausgang dieser gewaltigen Epoche, sozusagen zum Abschied sagen?

E.-M.H.: Der Kommunismus hat die Welt nicht verändert, zumindest nicht humaner gemacht. Die Menschen sind krepiert wie eh und je und schlagen sich weiterhin tot aus mir unerfassbaren Gründen.

R.H.: Dein Buch kriegt einen besonderen Kick als historisches Dokument. Die ganze Zeitgeschichte ist drin. Auch die Zeit auf Usedom. Du hattest ja in Lütow dein Sommerdomizil. Nach der Lektüre bin ich aufs neue überrascht, wie unverführbar, du, die große Verführerin, auch in jungen Jahren warst, mit welchem starken Abstand du, das Kind aus dem Volke, der Schickeria des Ostens begegnetest. Du genossest das Leben heiß, lebhaft, direkt, ohne Falsch. Denkst du manchmal mit Wehmut an diese Zeit zurück?

E.-M. H.: Nicht mit Wehmut. Und wenn – dann mit ambivalenten Gefühlen, so wie die meisten sich an ihr Junggewesensein erinnern. Ich habe jetzt wieder Kontakt mit Freundinnen aus der Kindheit. Sie freuen sich über das Buch, sind stolz auf mich, daß ich den Mut hatte, es zu veröffentlichen. Eine sagte neulich nach einer Lesung bewundernd: Eva, du bist die einzige von uns Landpomeranzen, die es geschafft hat. 

R. H.: Mit der Ausweisung Biermanns wurde klar, der globale Großversuch zum Erwachsenwerden der Menschheit ist zu – und am Ende. Leute, die ihre Nachbarn mittels Stasi überwachen, gängeln, ausweisen, haben nichts mit Freiheit oder Emanzipation zu tun. Wie denkst du, wird es weitergehn mit den großen Freiheitsideen?

E.-M. H.: Keine Ahnung. Ein Monument ist zusammengestürzt, der ›unerschütterliche Fels sackte einfach in sich zusammen. Der große Quell, die Idee, hat sich in unzählige kleine Rinnsaale verlaufen. Es wird an den ›Nachgeborenen‹ liegen, ob daraus wieder ein Strom wird. ›Alles fließt‹, sage ich mir zum Trost und versuche meinen Blick auf andere Dinge zu konzentrieren, meine Schätze zu sichten, die ich im Schlepptau hab, durch mein Singen Brücken zu schlagen zwischen den Generationen, den verschiedenen Sprachen, Kulturen. Unlängst hab ich mir eine kleine Kiste voll Lieder ausm Baltikum an Land gezogen, sie Wolf ins Deutsche übertragen lassen. Und eine CD produziert. Titel: Wenn ich erstmal losleg! Denn: ›Der Mensch kann nur austeilen, das, was er hat‹.
R.H.: Du warst so etwas wie die Marilyn Monroe des Ostens. Beide ließet ihr eine Menge sex appeal über die Kino-Leinwand flimmern. Das war eine Botschaft, die darauf zielte, jeden Menschen zu einem freiheitlichen selbstbestimmten Leben zu führen. In Amerika, scheint mir, ist sie irgendwann umgekippt in ein schrilles Ritual. Zwischen Marlyn und Madonna liegen Welten. Die große Monroe hat den Freitod gewählt. dir ist es gelungen, freiheitlich zu leben und zu lieben, ohne dich libertinär zu verkühlen. Es ist immer Herz da. Könnte das auch am Umfeld liegen, an den gesellschaftlichen Bedingungen in der DDR ?

E.-M. H.: Ich denke, das liegt in erster Linie an einem selbst, was man mit seinen Fühlern und den in uns unterschiedlich ausgestatteten Antennen aufnimmt. Mit der DDR hat etwas zu tun, daß ich meine Liebe verteidigen mußte, mich wappnen gegen Intrigen und Machenschaften, die auf Zersetzung zielten. Gewiß, die DDR war ein Dorf, jeder kannte fast jeden, man rückte zusammen, machte aus der Not eine Tugend, Alkohol floß. Einer mit freiheitlichen Ambitionen hatte da kaum eine Chance. Es war keine echte menschliche Wärme, was dieses System zu bieten hatte. Aber es gab Freunde, ja, die Familie, Heimatgefühl, eine Art Stallwärme, den Glauben, zumindest Hoffnung auf Veränderung ... 

R. H.: Vielleicht ist diese bizarre Kälte, die beispielsweise Madonna produziert, ein Geniestreich. Vielleicht soll die Unterdrückung jeglicher Intimität oder Wärme anzeigen: Behaglichkeit ist ein Betrug, das kleine Häuschen der kleinen Leute ist ein Ort der Lüge, weil die Dinge in Wirklichkeit unfaßbar, ungeheuerlich, rätselhaft, dunkel und sehr ungemütlich sind?

E.-M. : Es sind meistens Moden, immer blitzartigere Wechsel ... auf allen Gebieten dieser schnelllebigen Zeit. Ich hab das bei Nina erlebt: gestern mit kahlgeschorenem Kopf, beim nächsten Auftritt die Löwenmähne. Vor zehn Jahren donnerte sie über die Rampe: ›Ich bin nicht deine Fickmaschine‹, heut ist Romantik angesagt. Madonna schockte die Öffentlichkeit mit nachgestellten Koitus-Stellungen, dann erschien sie als Mutter Gottes mit Goldhaar in wallenden Gewändern. Michael Jackson gibt sich als Außerirdischer, scheint wirklich eine Schöpfung des Computers zu sein ... Die Ursache dafür ist u.a. der technische Fortschritt, die Medien. Sie züchten geradezu das Verlangen nach immer neueren Sachen, Sensationen, Quantität statt Qualität. Ich bin überzeugt, so bleibt es nicht. Irgendwann ist die Luft raus und man fängt von vorn an.

R. H.: Die Menschen haben sich auf der Welt wie in einem kleinbügerlichen Wohnzimmer eingerichtet. Dagegen Techno, entpersönlichte Perfektion, keine Verantwortung übernehmen, cool sein – meinst du nicht, die Jungen wollen, wenn sie bunt, bizarr und gepuscht von Crack über den Erdball raven, aus der engen Komfortabilität raus? Perfektion, Kühle, könnte die entscheidende künstlerische Frage der Gegenwart sein! Laß uns vom Auszug aus dem Zeitalter der Aufklärung sprechen. Kälte ist steinern, ungeheuerlich, also unbegreiflich, menschenfremd – das ist der Auszug!

E.-M.: Ich bin schon so alt und hab das Kind in mir nicht erdrückt. Es braucht die heile Welt. Ich schütze es immer wieder, indem ich mich verschließe. Das ist das Problem. Die Menschen wollen Freiheit und gleichzeitig Geborgenheit, unabhängig sein und die Hand haben, an die man sich festhalten kann. Ich hab ein Traumbuch ...

R. H.: Was für ein Traumbuch?

E.-M.: Andere gehen zum Psychiater. Ich hab für Krisen dieses Buch. Dem vertraue ich meine grenzenlosen Träume an, aus denen ich oft wieder auftauche wie der Phönix aus der Asche.

R.-H.: Nimmst du Drogen?

E.-M.: Niemals. Das tun Menschen, die wenig Phantasie haben. Es war eine Art Kulturschock, diese abrupte Verpflanzung in den Westen. Als wärst du aus dem Dorfteich ins offene Meer geraten. Ich fand mich schwer zurecht: emotional und was die praktischen Dinge des Alltags betraf. Für Nina war es leichter, sie war Anfang zwanzig und für die DDR sowieso zu eigenwillig. Ich stand da ohne einen Pfennig. Die Ersparnisse waren wie Blätter im Wind verweht: Ostgeld mit in den Westen nehmen, war strafbar, umtauschen auch; außerdem war es nichts wert. Die Menschen im Osten erlebten den ›Wechsel‹ dann im Kollektiv, konnten ihr Geld offiziell umtauschen, paßten sich an oder trauerten der ›guten alten Zeit‹ nach. Frieren kannst du überall, wenn du dir nicht einheizt, dein Leben selbst in die Hand nimmst, das Träumen auf der Strecke bleibt ... 
 

Ricarda Horn



Eva-Maria Hagen und der legendäre
Reitergeneral Budjonny



Landschaft auf Usedom


Lütov auf Usedom (Eva-Maria Hagen)


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