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Porträt von 2006

Sie strahlt, überstrahlt fast die anderen Schauspieler auf der Bühne der Bar jeder Vernunft" in Berlin. Hier spielt Eva-Maria Hagen bis zum Frühling das "Fräulein Schneider" in einer Zwanzig-Quadratmeter-Inszenierung des Musicals "Cabaret". Noch immer singt sie keck und mädchenhaft; ihr Alter ist auf der Strecke geblieben. Auch hinter der Bühne, im ausrangierten, gemütlichen Zirkuswagen, der als Garderobe für das Ensemble dient, von nah betrachtet, sind auf ihrem Gesicht kaum Spuren des angebrochenen achten Lebensjahrzehnts (den zu Ende gegangenen Sechszigern!) zu entdecken, jedenfalls keine tiefen Falten oder eisigen Botox-Zonen.

Eine Diva ist sie nicht - obwohl sie das als Mutter des Gesamtkunstwerks und der sehr extrovertierten Gesangskünstlerin Nina Hagen gut sein könnte. Neugierig blitzen ihre Augen, ihre Gesten sind schwungvoll, auffallend ihre herzliche Lebendigkeit. Früher als DEFA-Filmstar nannte man sie die Bridget Bardot des Ostens, weil sie so sexy war, doch noch immer umgibt sie etwas Geheimnisvolles. Im kommenden Sommer dreht sie, aber nichts Zauberhaftes (wie in der Kinder-Serie "4 gegen Z" als "Tante Hedda" oder Hexenartiges wie in dem gerade auf der Leinwand erscheinenden Film "Nimm Dir Dein Leben") - sondern einen Film über eine ältere, wache Frau, die sich auf den Weg gemacht hat zur 3. Generation, dem Enkel speziell, um heraus zu finden, ob sie sich noch was zu sagen haben: die auf den Ausgang des Lebens zutreibenden Geschöpfe und die aus ihnen hervorgegangenen Nachgeborenen.

Mit Märchen und Volksliedern wuchs Evchen auf, sie gehörten zum Alltag. Phantasie habe sie durchs Leben getragen - zusammen mit einer großen Portion Leidenschaft: "Eine Cousine erzählte später, ich hätte ihr in den Arm gebissen, weil ich das Schnee-wittchen spielen wollte, obwohl meine Haarfarbe mehr dem Schilf am Kammbruch glich und ihrs wohl dem Ebenholz, wie es im Märchen geschrieben steht."

In ihrem schwarzen Wollpullover und der grauen Hose passt sie zu ihren beiden, bürgerlichen Wohnorten Berlin-Prenzlauer Berg und Hamburg in Alsternähe - wenig aber zur grellen Tochter Nina. Nur die Sprache, das bisschen Berlinerische, das Lachen und die Lust am Provozieren verrät die gemeinsame Vergangenheit, offenbart einige Parallelen. "Diese Weiber laufen heutzutage rum wie die Kasperl," musste sie sich als junges Mädchen wegen der damals in Mode gekommenen Ringelsocken und den Hochwasserhosen nachsagen lassen. "Wir in unserer Jugend ..." Und Eva nahm sich vor, wenn sie in das Alter dieser älteren Tanten kommt, niemals zu den Jungen zu sagen: "Früher, das waren andere Zeiten. Da herrschte noch Zucht und Ordnung."

Und als Kind und Jugendliche? Ausgerissen sei sie, am Abgrund herumgeklettert, habe waghalsige, abenteuerliche Dinge unternommen, um einen Halt zu finden, denn die Wurzeln waren gekappt - durch das plötzlicheWegmüssen aus der Heimat. Ihre Friedens- und Kriegskindheit hinterm Oder-Fluß ist auch Thema ihres neuesten Buches "Eva jenseits vom Paradies", in dem sie beschreibt, wie es war, als die Frauen in der Familie ohne ihre Männer auskommen mussten. "Manchmal staune ich selbst, was wir alles verkraftet haben. Diese Erfahrungen beim Kampf ums Überleben, haben mich mit feinen Antennen ausgestattet, die bei Gefahr unterschiedlichsten Ursprungs Abwehrkräfte mobilisieren, so dass sich eher ein Aufeinanderzu entwickelt, statt ein Voneinander-Abwenden. Diese positive Grundhaltung ist jedenfalls in mir vorhanden.

Und durch sie erreiche ich bei Begegnungen mit Menschen jeden Alters Zuwendung, auch vom Publikum, wenn ich Lieder aus aller Welt singe, die Wolf Biermann so einmalig und wunderbar singbar ins Deutsche gebracht hat. Sie ermutigen einfach, Gefühl zuzulassen, Freude, Schmerz, zu lachen, zu weinen, wenn dir danach ist."

Ihrem Partner und Mentor Wolf Biermann folgte sie 1977 aus der DDR in den fremden Westen - nicht ganz freiwillig, sie wurde mehr oder weniger vertrieben, aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen; detailliert nachzulesen in ihrem 1999 mit der Carl-Zuckmayer-Medaille ausgezeichneten Buch "Eva und der Wolf".

Die Theaterbühnen sollten mehr Originale spielen: mit diesem Gedanken des deutschen Bundespräsidenten, der jüngst einen unverfälschten Schiller anregte, kann sich die noch bei Brecht gelernte Schauspielerin anfreunden. Bis auf das Dutzend guter Leute, die in deutschen Theatern vorzufinden sind, würden viele Regisseure gern nur ihren Bauchnabel präsentieren, dabei Schauspiel und Werk vernachlässigen: "Da geh' ich nicht rein. Bäh und Pfui!" Kultur, Sprache, Kunst müssten hoch gehalten werden, meint Hagen. Sonst sind wir bald Figuren auf'm Schachbrett von BigBrother!

Ob sie Preußen mag? In mancherlei Hinsicht schon, sagt Hagen. Sie haben die kostenlose Schulpflicht eingeführt, vorübergehend kam die Kultur in Berlin zu neuer Blüte, bei einer Hungersnot wurde die Kartoffel aus Amerika importiert, die Kinderarbeit verboten; Bildung sei eine der guten preußischen Tugenden.

Aber der eine Wilhelm, König und Kaiser von Preußen - der auch maßgeblich am Ausbruch des 1. Weltkriegs beteiligt war, zwei überlieferte Zitate von ihm lauten:

"Wir Deutschen sind das Salz der Erde." Oder: " Schwarzseher dulde ich nicht" - (was aber nicht verhinderte, dass bis Ende des Krieges 1918 - 10 Millionen Menschen ins Gras beißen mußten, davon immerhin 1,7 Millionen Deutsche.)

Ich habe kürzlich anläßlich des 300-jährigen Jubiläums von Preußen das Programm "Und ick baumle mit de Beene" auf die Bretter, die die Welt bedeuten, gebracht, in dem die aufmüpfigen Dichter zu Wort kommen und Spottlieder aus dem Volke.)

In ihrem aktuellen Programm, der Lesung aus "Eva jenseits vom Paradies" singt Hagen zwischendurch auch deutsche Volkslieder. Die seien bisher aus ihrer Sicht negativ besetzt gewesen, erinnerten sie an den Nationalsozialismus, waren verdorben. "Ich ließ sie nicht an mich heran, obwohl ich sie in-und-auswendig kannte. Jetzt singe sie in Erinnerung an die ›Heile Welt‹ der Kindheit und dem Staunen darüber, als die Erde zur Hölle wurde. Und es gibt mir das Gefühl, als hätte ich kostbare Schätze wiedergefunden, die lange irgendwo im Innern vergraben waren. Und das Publikum folgt mir auf die Reise in die Zauberwelt der Poesie. Dabei wird uns gemeinsam bewußt, was solche Lieder vermögen", erzählt sie und fängt gleich zu singen an. Stockt, weil ihr ein Wort fehlt, singt nochmal, sucht, bis sie den Text gefunden hat. So viel Zeit muss sein - die sie an anderer Stelle einspart. "Cosma, meine Enkelin, ermahnt mich manchmal, sagt, Eva, rede bitte die Sätze zu Ende!" - Der neue SPD-Vorsitzende Platzeck sei ihr nicht zuletzt auch deshalb sympathisch, weil er die Sätze zu Ende spricht, sagt sie mit einem Lachen. Aber auch weil er aus dem Osten komme - und damit meine sie nicht die DDR, sondern die Mentalität, Verwandtes ...

"Ich bleib immer die aus' m Osten" heißt eines ihrer starken Lieder. Und in der "Ballade vom wiederholten Abtreiben - oder - Ich leb' mein Leben", geht es um die Stationen ihrer mehrfachen Vertreibung. Östlich der DDR wurde sie also geboren, in Hinterpommern, auf der Grenze zur Neumark, Brandenburg.

Ihre Vorfahren mütterlicherseits kämen weiter von da, wo die Sonne früher aufgeht, sagt sie und weist auf ihre hohen, typisch slawischen Wangenknochen. Die waren heiterer, mehr osteuropäisch, sangen bei jeder Gelegenheit. Aber mein Vater hieß Fritz, der Löwe, er verließ die Welt leider, bevor ich ihn wahrnehmen konnte. -

Ach, sagt sie mit einem Seufzen, sie hätte nichts dagegen, wenn ein paar mehr mit dieser Mentalität über die Oder kämen. In Mitteleuropa sei vieles deprimierender. Zu viel Konsum, das Sich-Etablieren einer Wegwerfgesellschaft. So viel Zeug braucht man doch gar nicht, meint Hagen. Was ist mit der Ethik und der Fähigkeit zu lieben? Dieses Dahinrasen durch Zeit und Raum oder verkrampfte Auf-der-Stuhlkante-Sitzen - mache ich nicht mit, sondern weiche aus so oft es geht. Aber dieser alles mit sich reißende Strom "Fortschritt" - hat halt auch seine verlockenden Strömungen ...

Für das ostdeutsche Görlitz oder Europastadt Görlitz-Zgorzelec engagiert Eva-Maria Hagen sich als Patin bei der Bewerbung um den Titel Kulturhauptstadt Europas 2010 - wo sie gerade einen Film gedreht hat. "Görlitz ist einmalig mit der über viele Jahrhunderte gewachsenen Architektur, den Anlagen und Brücken zum anderen Teil der Stadt rüber, der zu Polen gehört. - So wie Berlin geteilt wurde nach dem Krieg ... Einmal habe sie im Hotel zufällig den Ausführungen einer Reiseführerin beim Treffen einer Schlesier-Reisegruppe zugehört, die ein Hohelied auf die Schönheit der Stadt sang und dauernd vom "Virus" Görlitz sprach. Anschließend ging sie zu der Frau und schlug vor, lieber das Wort "Zauber" zu benutzen, "Virus" sei zu negativ besetzt. "Igitt und Pfui!" lacht sie heute laut. Das erinnere sie an den Virus per E-Mail, dem widerlichen Spam-Scheiß, an die Vogelgrippe, aber nicht an die schöne Stadt Görlitz.

Heute lebt der Hagen-Clan weit verstreut: die Tochter Nina zur Zeit in Kalifornien - Los Angeles (wo auch ihr sechszehnjähriger Sohn zur Schule geht), kommt aber sehr bald nach Berlin, um nebenbei die "Bar jeder Vernunft" zu besuchen, ihre Mutter Eva-Maria als "Fräulein Schneider" zu bestaunen, die Enkelin war zur Premiere da - und begeistert, sie drehte ebenfalls grad zufällig in Görlitz (bei Eis und Kälte im Steinbruch) in einem Kino-Film, in dem es um den polnischen Papst in seiner Jungmännerzeit geht und Mario Adorf ist der Gärtner, anschließend geht's nach Paris. Im Sommer ist Cosma oft auf Ibiza, fliegt nach London oder in die USA. Eva-Maria lebt im Sommer in der Uckermark in ihrer Land-Idylle. Dort gibt es ein Marderpaar auf dem Dachboden, sagt sie, die machen manchmal einen Krach, daß man denkt, da kämpfen zwei Ringkämpfer miteinander, stattdessen sind die süßen Biester damit beschäftigt, Nachwuchs zu zeugen. "Krachbum, Padam: dröhnt es dann nach unten. Die müssen unheimlich hoch springen können, mit Salto mortale und sowas alles.

Dann klatsche ich in die Hände und sie laufen die Regenrinne entlang, die steile Wand runter, suchen Zuflucht bei der Schleiereule in der Scheune - oder sonstwo."

Vielleicht erzählt sie diese Geschichte auch den Müttern und Kindern an der Alster beim Spazierengehen, wenn sie in die Kinderwagen reinschaut, um mit Blicken den neuen Erdenbürger zu signalisieren, dass da Draußen auch noch ganz interessante Wesen rumschweben - oder auch den Hundebesitzern und Pärchen, die sich in dem sehr lebendigen Stehcafe treffen, und die frische Luft in Hamburg genießen.

"Yeah!" tönt die Hagen nicht unfreundlich, als es dann an der Tür klopft: Signal zum Aufbruch; auch das Klopfen ihrer Finger auf den Holztisch ist in den Minuten davor häufiger geworden. In zwei Stunden müsse sie auf der Bühne stehen. "Haben Sie meine E-Mail-Adresse?" fragt sie. Und wenig später: "Wo ist nur der Unterrock von meinem Fräulein-Schneider-Kleid abgeblieben?"


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