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  22. März 2008, Magazin

Ich würd' ja gern Krawall machen

Eva-Maria Hagen über ihre Lust zu leben, die Liebe als Himmel und Hölle
und das Sterben als letzten großen Auftritt

Interview: Christina Bylow

“Ich bin eine fröhlich lebende junge Alte, die für Kind und Kindeskinder erreichbar ist”.

"Das Äußere spielt nicht mehr die Rolle wie einst.  Was rausguckt aus den Augen ist wichtig: Geist, Charme, Humor”.

Foto: PAULUS PONIZAK

Frau Hagen, kann es sein, dass Sie nach fünfzig Jahren Bühnenerfahrung noch immer Lampenfieber haben? Diesen Eindruck hatte ich neulich vor einer Lesung  mit Ihnen. In der Garderobe war Ihnen noch unbehaglich, doch  kaum betraten Sie die Bühne, waren Sie wie angeknipst.

Lampenfieber - das ist normal, weil jedes Mal wieder ein Sich-Ausliefern auf offener Szene stattfindet. Auch vor Aufführungen von „Cabaret“ in der „Bar jeder Vernunft“, wo ich ab und zu das Fräulein Schneider spiele - stehe ich leicht unter Strom. Doch tauche ich ein ins Licht und spüre das Geraune, die Vorfreude vom Publikum, fällt dann mein Stichwort und die Musik setzt ein, treffe ich den richtigen Ton, bin in meinem Element.

War die Nervosität vorher manchmal so groß, dass Sie sich blockiert fühlten?

Nein. Ich bin vorbereitet und es ist mein Wunsch und freier Wille, etwas darzustellen. Von klein auf wollte ich auf die "Bretter, die die Welt bedeuten". Märchen waren ausschlaggebend, die meine Oma mir und meinem Bruder vorlas, Lieder, Geschichten, die der Fantasie Flügel wachsen ließ, wo Abenteuer zu bestehen waren am Mühlberg, in Sumfdotterblumenwiesen, am Feld, wo die Roggenmuhme haust. Dazu war der Mond ein zu mir gehörender Beschützer, im Schlaf wie im Wachsein, auch hinter den Wolken. Ich war ohne Angst.

Sie haben vorige Woche  auf der Bühne auch einen Traum erzählt. Er handelte davon, wie Sie sich trotz der vielen Entwurzelungen in Ihrem Leben immer wieder ein Nest bauen konnten.

Ja. Ein immer wiederkehrender Traum von einem Haus mit Fenstern, in denen das Glas fehlt, die Türen windschief in den Angeln hängen, in Gegenden, wo die Natur Zerstörtes umrankt. Ich versuche, Heimischwerden zu zaubern. Im realen Leben mag ich nicht zwischen den Türen sitzen, im Durchzug, schau mich um nach einem Winkel. Das ganze Leben war ein Durchzug, obwohl ich bemüht war, Halt zu finden. Das Traumhaus stammt aus meiner einst heilen Welt - seit ewig steht es da, muss nur bewohnbar gemacht werden. Das kann ich. In Berlin, Hamburg, auf  Usedom, in der Uckermark - wurde es in die Tat umgesetzt. Und Feste wurden gefeiert - mit Freunden, Kindern, Kollegen, Künstlern. Es gab auch falsche Freunde, Stasi-Pack, das sich untermischte, verhindern wollte, dass wir nach unserer Vorstellung lebten. Man hat es nicht geschafft. Wir hatten Unterstützer und Helfer im Volk, Sympathisanten auf Usedom, in Lütow am Achterwasser, dort halfen uns Dorfleute einen Dachboden auszubauen, so dass wir den Sommer über dort sein konnten mit Kind und Kegel.

Sind Sie gerne Gastgeberin?

Es gab Zeiten, in denen ich ständig Gäste hatte, oft kochte; meine ungarische Fischsuppe war in aller Munde. Bevor ich Wolf Biermann traf, in meiner Defa-Zeit und als Mitglied des Schauspielensemble vom Fernsehen der DDR, war ich Publikumsliebling, im Volk beliebt, wie bei den Oberen, jedes Kind kannte mich, durch die Kinoleinwand, dem Bildschirm, von Titelseiten der Illustrierten, ich bekam Einladungen zu Festivals, Empfängen, viele Türen standen mir offen. 1965 - nach dem 11. Plenum der SED - klappten die alle zu, weil ich mit Wolf Biermann zusammen war, der Berufsverbot bekam, zum Staatsfeind Nr.1 erklärt wurde. Aber ich ließ mich davon weder beeindrucken noch einschüchtern - wie man in meinem Buch "Eva und der Wolf" lesen kann, habe gelebt, wie ich es für richtig hielt.

Zu den Kindern unter den Gästen  bei Ihnen gehörte auch Florian Havemann, der in seinem Buch gerade  mit seinem Vater Robert Havemann und dem Kreis um Biermann abgerechnet hat. Das Buch verschwand wegen Verstoßes gegen Persönlichkeitsrechte sehr schnell aus dem Handel. Kommen Sie darin vor?

Ich möchte mich dazu nicht äußern, dafür gibt es Anwälte, nur soviel: dieser Mensch kann einem leid tun.

Vor ein paar  Jahren hat Ihre Tochter Nina Hagen Ihr Buch „Evas schöne neue Welt“ vor der Auslieferung an den Buchhandel verhindert. Sie fühlte sich verletzt. Wie sehen Sie das heute?

Es wäre keine große Aktion gewesen, einiges zu korrigieren, aber ich hatte keine Lust mehr. Denn wissen Sie, jede von uns - Nina-Catharina, Cosma-Shiva und Eva-Maria - ist ein eigenes Kraftfeld. Da kann es zu Spannungen kommen bei zu großer Nähe, eine Bemerkung kann hochexplosiv sein. Das Zurechtfindenmüssen im Westen war zu frisch damals, ich verstehe das heute - es tat mir leid. Aber wir sind uns innerlich ganz nah – für paar Euro kann man eine Stunde lang zwischen Hamburg und Los Angeles über Gott und die Welt herziehen. Ninas Sohn Otis hat sich auch toll entwickelt, wird im Sommer achtzehn, fährt schon Auto. Ich habe Freude an meinen Nachkommen.

Ist das Großmutter-Sein für Sie leichter, als es das Mutter-Sein war?

Das kann man schwer vergleichen. Es war eine total andere Lebensphase - was die Entwicklung des Menschen und speziell dieser lebenshungrigen Frau betrifft, die ich damals war, das Verantwortungsgefühl auch. Ich war mit 20 noch sehr jung und wollte unbedingt Schauspielerin werden. Als ich schwanger war, gab es Bedenken von Ninas zukünftigen Vater. Ich wollte das Kind, er fand, es sei verfrüht, dazu die Einzimmerwohnung. Aber es war am Anfang eine innige Liebe zwischen uns und er hat deshalb auch zugestimmt. Er wurde ein liebevoller Vater, war aber sehr eifersüchtig, als ich nach einem Jahr wieder zur Schauspielschule ging. Als meine Tochter fünf Jahre alt war, ließen wir uns scheiden. Ihr Vater gab mir die Schuld daran, dass wir keine Familie mehr waren - womit er, was das Formale angeht, Recht hatte. Nina hat dann später Wolf Biermann als Vaterfigur anerkannt, hat viel von ihm gelernt. Aber wie heißt ein Spruch: "Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schaft". Ich kam nicht zur Ruhe, bis ich dann nicht mehr weiter wusste und in die Klinik kam.

Er hat mit Hilfe der Stasi versucht, Ihnen Nina zu entziehen.

Über seine Stasi-Verwicklungen möchte ich nichts sagen. Hans Hagen ist kurz nach der Wende gestorben und kann sich nicht verteidigen. Er hat, soweit ich den Akten entnahm, keine Schweinereien begangen. Er hat aus Liebe, beziehungsweise was er darunter verstand, so gehandelt, dass ich bei diesem Dramolett fast drauf gegangen bin. Denn über Krieg und Frieden wird auch im Kuss entschieden, heißt es wiedermal im Lied.

Ihre beiden autobiografischen Bücher bersten vor Liebesgeschichten, Freundschaften, erotischen Begegnungen. Sie führten ein pralles Leben in der DDR, die doch als grau und spießig galt.

Eins schließt das andere nicht aus. Was das Pralle angeht, strotzte das Leben neben den Freuden der Sinne und des Geistes auch von massiven Verabreichungen aus Mielkes Giftschrank, der Umsetzung verschiedenster Punkte des Maßnahmeplans wie "psychische Belastungen", "Liebesverhältnisse zerstören", "an Rauschgift interessieren, falsche ärztliche Betreuung" bei Wolf Biermann, "persönliches Eigentum beschädigen" usw.
Und was Spießigkeit betrifft, da haben die beiden Hälften Deutschlands sich nicht viel genommen. Auch im Grau gibt es Farbinseln, wenn man ein Gespür dafür hat. Es war die 68er-Zeit, die Welle der "sexuellen Revolution" ist auch in den Osten rübergeschwappt. Andererseits gab’s diese Stasi-Spitzel-Spießer, die das "freie Leben", besonders einer Frau in den Berichten abfällig kommentierten. „Es standen wieder fünf Autos vorm Haus in der Zelterstraße“, steht über mich in den Akten und ich hätte einen ungeheuren Männerverschleiß. "Es findet ein Geschlechtsverkehr statt, es handelt sich um ..."  Im Film „Das Leben der Anderen“ ist diese Atmosphäre gut getroffen. Aber es ging weit darüber hinaus. Es gab nicht nur Mordanschläge, sondern auch den Vollzug.  Erich Mielke hat Menschen ohne Prozess durch Genick-Schuss umbringen lassen. Den Text „Erich Mielke - ein deutscher Jäger“ im MDR aufgenommen, ein Feature mit Originaltönen - ich spreche die Zwischenkommentare - kann man sich auf meiner Web-Seite  www.eva-maria-hagen.de  zu Gemüte führen.

Haben Sie sich körperlich bedroht gefühlt in der DDR?

Das auch, aber es waren mehr Psycho-Kisten, ich bin von der Anlage her unbekümmerter als die meisten. Und es gab in der Partei, bei der Stasi Leute, die mich einst verehrten, bewunderten, manche dann heimlich, die mich keinesfalls kampflos dem "bösen Wolf" überlassen wollten, ihr Agieren war undurchschaubar und ambivalent. Es ist schwer zu vermitteln, auch in meinen Büchern klingt manches romanhaft, doch ich wollte die Berichte und Briefe nicht kommentieren. Die Spitzel, IMs, auch solche, die ich persönlich kannte, Kollegen, habe ich nicht mit ihrem "Klarnamen" genannt, wollte die Kinder von denen damit nicht konfrontieren. Einmal wurde ich stundenlang verhört, in einem Kabuff ohne Fenster, in Halle an der Saale, wo sie mich aus der Probe herausgeholt hatten, weil ich einen Volkspolizisten „Blöder Hammel“ genannt hatte. Nun wollten sie mir zeigen, wo der Hammer hängt und wer das Sagen hat. Und weil ich mich weigerte, das Zeug zu unterschreiben, was die zusammengeschmiert hatten, sagte einer: "Dann fangen wir von vorne an. Wir haben Zeit." Da bin ich ausgerastet und habe rumgeschrien. Durch meine Popularität war ich bis zu einem gewissen Grad geschützt, denn wenn sich das rumgesprochen hätte, dass man die Hagen wegen 'Staatsverleumdung' in der Mache hat, hätte das kein gutes Licht auf die Künstler geworfen. Unbekannte Frauen hatten nicht das Privileg, haben wegen Bagatellen Jahre in Hohenschönhausen oder Waldheim verbracht, junge Männer in Bautzen ...

Bei Ihnen spürt man keine Bitterkeit.

Ich hatte ja auch viel Glück im Leben, da kann man im Alter nicht bitter werden wegen dieser Jahre, in denen eine um ihre Menschenwürde hat kämpfen müssen - gegen Betonköpfe eines aus den Fugen geratenen, einst vielversprechenden Programms, dem System der DDR-Diktatur. Diese Erfahrungen haben mich zu der Person werden lassen, die ich heut bin: eine fröhlich lebende, selbstbewusste junge Alte, die für Kind wie Kindeskinder erreichbar ist. Mir haben viele Menschen beigestanden damals, ich kann und will niemandem, der Angst hatte vor dieser heimtückischen Drachenbrut in Wandlitz, wo die sich verschanzt hatten, vorwerfen, dass er nicht war wie ich.

Was hat Sie so stark werden  lassen?

Meine Mutter, die mit drei Kindern durch Krieg und Nachkrieg kommen musste. Später habe ich mich gegen sie zur Wehr gesetzt, sie wollte nicht, dass ich so früh meiner Wege gehe, hatte wohl Sorge, ich könnte in ihre Fußstapfen treten, mit 18 ein Kind zur Welt bringen, unehelich. Doch ich ließ mich nicht aufhalten. Dazu gibt’s ein sehr passendes baltisches Lied, das ich öfter mit Frauen aus dem Publikum singe. Ich bin die Vorsängerin, der Chor wiederholt die Zeile, jedes Mal einen halben Ton höher. Das macht einen Riesenspaß:

"Hej, Mutter liebe Sonne du / hast mich aus deinen Bauch gepresst / hast mich genährt und groß gemacht / du warst mein schönstes Vogelnest / von dir hab ich das Licht gelernt / und wie man singt in finstrer Nacht / jetzt bin ich flügge lass mich zieh'n / ein junges Täubchen bin ich noch / ich muss zu meinem Tauber hin / ich bin ein Weib und will ein' Mann / und lässt du mich nicht, flieg ich doch / und stürz' ich ab, was geht’s dich an / ich zwitscher bis zum Morgengrau'n / und gurre, bis die Sonne flirt / sing mit den Hexen im Alraun / wenn mein Gesang die Welt verwirrt / dann melkt halt mal der Mond die Küh / dann hütet mal der Wolf die Schaf / die Sterne schlagen Buttermilch / die Birke tränkt das Kälbchen brav / nun schimpf doch nicht mein Muttertier / die Aussteuer erspar ich dir / ich brauch nur einen der schön singt / der mir ein neues Lied beibringt / dann tanz ich mit den Elfen nackt / und wenn das Schwein den Metzger schlacht' / und wenn der Hund den Kuchen backt / der Abendstern die Wäsche macht / dann werden meine Äpfel groß / dann träller ich erst richtig los / Tralala Tralala Tirili Tirili."

In „Eva und der Wolf“, Ihrem Buch über die Jahre mit Wolf Biermann hadern Sie auch mit Ihrer Liebe, zürnen über den egoistischen Mann, stürzen in Krisen, suchen Hilfe bei einem Psychiater. War es eine Liebe, die viel Leiden mit sich brachte?

Ach nein, das ist nur eine Sequenz. Das überbewerten Sie. Wolf ist einer, der sehr auf andere achtet. Wenn ich im Tagebuch über ihn mit Schimpfkaskaden herfalle, statt mit Süßigkeiten oder scharfen Sachen, war auf der nächsten Seite doch gleich wieder Liebesgeflüster.

Die Liebe war Himmel und Hölle.

Himmel und Hölle aber nicht nur, was Persönliches betrifft, es hatte mit der politischen Situation zu tun. Trotzdem traf ich mehr Engel als Teufel, versuchte, auf "gefallene Engel" positiv einzuwirken.

Wie musste ein Mann sein, um Ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen?

Das ist in vielen Liedern differenziert und treffend beschrieben. Eins heißt: „Das mit den Männern und den Frau'n“. Ich hatte mich bei Wolf beklagt, dass er dauernd Lieder für sich, also aus Sicht des Mannes schriebe. Da hat er eine erfrischend freche Fassung für mich gemacht: „Ich krieg’s nicht raus, in diesem Leben nicht, d a s, wie man leben soll, denn ein Mann ist zu viel für mich - und zwei sind viel zu wenig ...“

Ich frage ja nicht nach dem Liedtext, sondern nach Ihren Erinnerungen.

Das sind Erinnerungen. Von allen Schattierungen der Liebe kriegt man in den Liedern was mit. Wolf Biermann hat einige hundert geschrieben, aus aller Herren Länder ins Deutsche übertragen, weil ich seine Originale im Osten ja nicht singen durfte. Dadurch ist dieser enorme Liederschatz entstanden. Später dann, im Westen, als ich fünfzig wurde, sieben Jahre lang mit einem sehr jungen Mann zusammen war, schrieb er den "Tango für Eva":
„Das müsst ihr mir schon nachseh'n, mein Liebster ist schon achtzehn und ich bin erst fünfzig Jahr. Wir kommen so gut zu Rande, wir sind 'ne irdische Schande und 'n himmlisches Liebespaar ... Und wer uns sieht und das Maul verzieht, der ist 'ne Sau ...erkraut mit Schweinebacke, hast du etwa keine Macke und 'n beten scheef, dat hat Gott lev...
Nach Konzerten sagten mir Frauen, ich hätte ihnen Mut gemacht, ihre Beziehung zu einem jüngeren Mann offen zu zeigen. Vor 20-30 Jahren war das noch schwierig.

War der Altersunterschied für Sie manchmal auch schwierig?

Sicher gab es Augenblicke. Ich habe diese "Sensation" auch nicht gerad demonstrativ vor mir hergetragen. Und ich war mit fünfzig wirklich noch jung, bewegte mich nicht wie Omas vor zwei, drei Generationen: eine Fünfzigjährige war damals, was Erotik und Sexualität angeht, in den Köpfen bereits jenseits von Gut und Böse.

Waren Sie eifersüchtig in Ihren Liebesbeziehungen?

Vielleicht, wenn einer mit jeder flirtete. Ob das Eifersucht ist? Nein, ich merkte dann nur, dass das keiner für mich ist. Wenn man länger zusammen ist und weiß, wie man zueinander steht, finde ich es sympathisch, wenn mein Schatz auch zu anderen Frauen charmant ist. Aber die „offene Beziehung“, wie sie als Konzept proklamiert wurde, war nie mein Ding. Eine Freundin könnte Ihnen klassische Eifersuchtsszenen beschreiben unter den Männern, wie die berauscht von Wein, Weib und Gesang aufeinander losgingen (lacht).

Also waren die Männer eifersüchtig bei Ihnen.

Es gab Schlägereien, Imponiergehabe, in jungen Jahren Revierkämpfe wie im Tierreich.

Hatten Sie manchmal das Gefühl, ein Trophäe zu sein für die Frauensammler unter den Männern?

Solche Typen habe ich gemieden. Ich will in Ihrer seriösen Zeitung nicht aus dem Nähkästchen plaudern. Ja, einer fällt mir ein, der die Hauswand hochkletterte, übern Balkon in die Wohnung, in meinem Bett lag, als ich nach Hause kam. Aber statt ihn dafür zu bewundern, ließ ich ihn denselben Weg zurück klettern. Wenn einer auf so dreiste Art reiste, hab ich ihn stehen lassen mitten im Tanz. Jetzt komme ich mir vor, wie eine weise Alte, die Liebeslebensberatung machen soll, dabei habe ich nie viel darüber nachgedacht. Bin eine Wald- und Wiesenblume, Romantikerin, Naturkind. Wenn man mir Ratschläge geben wollte, wie man sich schützen kann oder an den Mann bringen, dachte ich, das weiß ich allein, das habe ich im Blut!

Welche Aura hatte Wolf Biermann, als Sie ihn trafen?

Das ist im Mai 43 Jahre her. Jedenfalls hatte er keinen Heiligenschein, war noch nicht verboten, aber den Kulturverwaltern ein Dorn im Ohr. Wir traten in Halle "an der Saale hellem Strande" zufällig zusammen auf. Ich hörte zum ersten Mal einen Ost-Sänger singen, bei dem alles stimmte, wie er Gitarre spielte, seine Texte aus der Gegenwart rüberbrachte, die Musik... Ich war fasziniert und wollte diese Lieder sofort lernen. Später habe ich ihn öfter auf meinen "Traumbildern in Öl"  verewigt, mit solchen "Klapp-Augen", wie sie die Männer auf alten Heiligenbildern haben. Das war ein stümperhafter Versuch, die Aura zu beschreiben

Unter ein Foto aus Ihrer Schauspiel-Schülerzeit haben Sie in Ihrem Buch „Eva jenseits vom Paradies“ geschrieben: “Das Sichinteressantmachen, weil Geliebtwerdenwollen gehörte zum Lebensinhalt“. Wird das Lieben später wichtiger als das Geliebtwerdenwollen?

Zum Glück hab ich mich immer wieder verlieben können. Schade, dass man nur selten Seelenverwandte trifft. Das Äußere spielt nicht die Rolle wie einst, was rausguckt aus den Augen ist wichtig: Geist, Charme, Humor. Die Stimme. Einen fand ich mal toll bei der Begegnung, aber als er anrief, ich sein unterwürfiges, gleichzeitig besserwisserisches Geplänkel vernahm, war alles verpufft. Wo sind sie abgeblieben, die Männer, die so aufregend geistvoll waren? Sind die eingeschlafen? Man trifft sie nicht mehr. Na ja, ich ziehe auch nicht mehr um die Häuser, wie einst im Mai. Früher hat es hier gefunkt und da geknistert. Sicher liegt das an einem selbst. Man will seine Ruhe haben. Irgendwann kommt der Punkt. Doch die Gefühlswelt geht nicht unter, solange die Synapsen mitmachen, die Empfangsstationen und Sender nicht verkalken, solange es Bücher gibt, das Internet. Dieses ewige: „Werde ich wahr genommen?“, das ist irgendwann langweilig. Mit Frauen bin jetzt oft zusammen. Ich verstehe mich im Alter besser mit ihnen als früher, sie sind interessanter, weiter im Aufbruch.

Ist das Alter für Sie eine Last oder bringt es auch Erleichterung mit sich?

Ich würde nicht nur Lobeshymnen auf das Alter singen. Man macht sich auch häufig was vor, verdrängt. Aber ich habe noch Auftritte, demnächst in Schwerin, man bittet mich, meine Bilder auszustellen, zu singen, zu lesen, was mit Kindern zu machen, Studenten, eine Germanistin aus Kanada, Frankreich, Deutschland, die für ihre Magisterarbeit was wissen wollen, meine Liedersammlung, die Bücher von mir kennen. Manchmal frage ich mich, warum ich mir das antue. Ich könnte mich zurücklehnen; es ist schwer, den Jungen und Nachkommen zu widerstehen.

Wie bereiten Sie sich auf die Auftritte vor?

Ich lauf zur Alster, zu den Enten, Graugänsen, sage meinen Text auf, sie antworten mir freundlich mit Quak, alle Lieder nehme ich im Schnellgang durch, schnappe frische Luft und freue mich auf das vor mir Liegende. Wenn ich auf die Bühne gehe, ziehe ich die Augenbrauen nach, betone dies, vertusche das. Schon alles.
Ansonsten pflege ich mich, schlafe, trinke genügend, damit meine Stimmbänder nicht austrocknen. Das Singen und die Gitarre sind nun wirklich mein Lebenselixiere. Wenn ich mich hineinbegebe in die Melodien und Texte, dann sehe, dass die Finger funktionieren, ein schöner Klang entsteht, bin ich wieder oben auf der Welle. Gute Musik ist Medizin für Herz und Seele, dadurch auch für den Körper. Das hat nicht jeder, aber jeder hat Möglichkeiten, Dinge zu tun im Alter, für die er vorher vielleicht zu wenig Zeit hatte.

Gab es ein Alter, das für Sie besonders schwierig war?

Anfang der Sechziger ist alles aus'm Ruder gelaufen. Da war jemand weiter an Werk, um mir das Leben zur Hölle zu machen. Alles aus Liebe. Es gab Momente, wo ich nicht mehr leben wollte. Ich hatte mehr Krisen als ich jünger war, die gibt es jetzt nicht mehr, höchstens wegen der Nachkommen, weil ich sie beschützen will, ohne ihnen das zu zeigen. Nein, ich will sie nicht in Aufregung versetzen. Die Wehwehchen, die das Alter mit sich bringt, tun manchmal weh, aber selbst wenn das Herz rumkobolzt, ist das ein Zeichen, dass es Anteil nimmt. Mensch, sag ich mir, mit 73 Jahren bin ich doch noch ungeheuer fit. Fit, was für'n Wort, kurzatmig, habe ich nie benutzt - kann es eigentlich auch nicht leiden !

Im Alter haben Sie die verdrängten Kriegsbilder hervorgeholt. In Ihrem Buch „Eva jenseits vom Paradies“ finden sich Schreckensbilder,  die sich in ihr kindliches Gedächtnis eingeprägt haben.

Wenn ich mit Kriegsbildern, die in letzter Zeit verstärkt in den Medien behandelte Vertreibung der Menschen aus ehemaligen Ostgebieten Deutschlands konfrontiert werde, kann ich mich nicht dagegen wehren, dass mir die Tränen kommen. Normalerweise heule ich nicht so leicht, aber manchmal wird mir der Hals schon eng. Als Kind habe ich es mehr aufgenommen wie Abenteuer. Ich erinnere mich, wie die Dorffrauen von Kremlin nach Pyritz gelaufen waren, wo alles in Schutt und Asche lag, denn auf Befehl des Oberkommandos musste bis auf den letzten Mann gekämpft werden. Wir haben nach Essbarem gesucht, die Frauen füllten sich was aus Fässern ab, Essigessenz, wodurch die Haut verätzt wurde, dass sehe ich noch vor mir und überall verbrannte Menschen, Babys als Stummel im  den Armen ihrer Mütter; ich habe es mit eigenen Augen gesehen und in abgrundtiefe Verliese verbannt und staune, was wir alles verkraften mussten. Aber wer weiß, vielleicht hätte ich ein sonnigeres Gemüt, wenn diese Kindheit nicht gewesen wäre. So gibt es doch dunkle Wolken in mir.

Im allwissenden Internet-Lexikon wikipedia werden Sie unter der Rubrik Privates  als „alleinstehend“ bezeichnet. Das Wort  passt nicht so recht zu Ihnen.

Ich bin nicht alleinstehend, habe Freunde, bei denen ich jederzeit auftauchen kann, auch bei Cosma, meiner Enkelin. Ich könnt ja jetzt zugeben oder einfach behaupten, dass ich mit jemandem zusammen bin, schon deshalb, damit bei wikipedia nicht „alleinstehend“ steht. Nein, nein. Ich fände es schon nicht schlecht, mit jemandem, der ähnliche Interessen bzw. die gleiche Wellenlänge hat, egal ob Mann oder Frau oder welchen Geschlechts auch immer, in einem Haus zusammenzuleben, wo man sich gegenseitig unterstützen kann. Aber es müsste ein Artverwandter sein, Distanz, Respekt, Toleranz sind wichtig. Man erträgt es nicht mehr, wenn wer aus einer ganz anderen Welt in deine reinplatscht. Ich bin übrigens gerne allein. Das hat sich so entwickelt, ich male, schreibe, schaukle durch die Gegend, ohne dass ich sagen muss, wo ich hingehe, wann ich wiederkomme. Dann gibt’s das Telefon, ellenlange Gespräche aus Wien, Vancouver, Nina aus Amerika, eine französische Freundin aus Rouen. Wissen Sie, ich hätte neulich bei der Lesung noch ein Lied über das Alter singen sollen:

"Nicht mal einen grauen, kleinen Vogel,
der fröhlich am Singen ist,
gibt es drüben in der anderen Welt, mein Freund,
und das find’ ich dumm und trist,
Nicht mal einen grauen kleinen Vogel,
und nie keine Birke am Feld
und doch am allerschönsten Mittsommertag,
hatt' ich Sehnsucht nach jener Welt“.

Die andere Welt in diesem Lied  ist der Tod.

Ja, das himmlische Paradies, das Nichts, wie Sie wollen, aber hauptsächlich handelt es von Sehnsucht nach einem lebendigen Leben. Es hat nichts mit Depression zu tun. Die Sehnsucht nach dem Tod ist in sensiblen Menschen vorhanden, vor allem, wenn ein ungeheurer Gipfel erreicht war, da gab es viele Höhenunterschiede zu verkraften, und dafür ist das Alleinsein gut. Ich muss mich selbst hocharbeiten aus den Tiefen. Wie die Elefanten. Die verziehen sich ins Dickicht, verlassen die Herde, wenn sie krank sind oder schwach, um dort entweder zu sterben ohne großes Palaver oder wie neugeboren wieder auf der Bildfläche erscheinen. Na - ich würde ja gern Krawall machen. Schade, dass man nicht beide Arten ausprobieren kann. Aber ich will nicht das Leben der anderen vergrauen - seht mal wie ich leide, und ihr seid fröhlich. 

Wie sieht denn der Krawall aus, den Sie zuletzt machen wollen?

Nein, Krawall ist nicht das richtige Wort. Es ist eins der Traumbilder, die im Halbschlaf hochdämmern: Ich gebe ein Fest mit allem Drum und Dran, in einem wunderschönen Kleid steige ich auf einen Sarkophag, wo ich mir eine Mokkabohne auf dem Tablett, einem Rhabarberblatt, reichen lasse, diese geräuschvoll zerknacke, nein, lieber genussvoll auf der Zunge zergehen lasse, dann sanft abhebe, rüberschwebe ins Nirwana, nach Schlaraffenland. Na, kann ich nicht schön spinnen? Und von Nina habe ich mir gewünscht, dass sie das „Ave Maria“ singt, hat sie schon an meinem siebzigsten Geburtstag gemacht. Ohne jede Begleitung. Ihre Stimme ist ein großartiges Musikinstrument. Sie hat natürlich aufgeschrieen, als ich sie telefonisch darauf ansprach: „Nein ich muss weinen, es ist noch lange nicht so weit“. „Ja schön“, hab ich gesagt, „du kannst auch weinen, aber das Ave Maria singst Du doch bei meiner Beerdigung.“ Darauf haben wir uns wortlos geeinigt.

Das wird dann sicher so sein.

Vielleicht. Das werde ich dann ja hören!








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