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Aus dem Manuskript von Eva-Maria Hagen

"Kreuzfahrt im Traumschiff"

KAPITEL : SCHAUPROZESS im Stadion MÄNNERFREUDE

Sie hatten meine öffentliche Hinrichtung beschlossen. Die Begründung bestand, genau genommen, aus einer einzigen Moralpredigt: ›Gefährdung von Ordnung und Zucht‹, das war der Grundtenor.
Die Einzelheiten: Verschärfte Hetze gegen den Elfer-Rat wurde mir vorgeworfen – der Karnevalsverein bestand vorwiegend aus alteingesessenen Berufsfunktionären – zu enger Kontakt mit Ausländern im eigenen Lager, vertraulicher Umgang mit Passierscheinbesuchern aus in der Westhälfte; Aufwiegelung der Damenriege im Achter kam strafverschärfend hinzu - und unflätiges Benehmen gegen den 2. Sekretär.
Das Plädoyer des Staatsanwalts lautete: ›Wer sich auf Positionen des Klassenfeinds begibt, der soll nicht dumm aus der Wäsche kucken, wenn ihn die ganze Härte unserer Gesetzanwendung trifft. Das sind wir unsern Werktätigen und ihrem friedlichen Aufbauwerk schuldig. Deshalb beantrage ich, die Angeklagte zum Tode zu verurteilen und ihr gemäß § 58 die staatsbürgerlichen Rechte auf ewig abzuerkennen.‹
Speziell der Kandidat Najumann fühlte sich auf’n Schlips getreten, weil, nüchtern betrachtet, Frauen sowieso was Unfaßbares hatten, aus der Art geschlagenes eben. Aber nach Sonnenuntergang ließ er die Puppen tanzen und hoch die Tassen! Konnte den Hals nicht vollkriegen, der Saufaus. Eine wie ich hat ihn einst ausgelacht vor versammelter Mannschaft, beim Fasching in Pankow damals, als er August den Starken markierte und mir sein Wohlwollen kundtat, meinte, wenn Not am Manne sei, was Schweres zu (er-)tragen, Besuchserlaubnis für Hohenschönhausen, Einladung zum engsten Kreis, Beschaffung von Mangelware, also daß sich durch ihn eine Bresche schlagen ließe. Aber ich hatte nur Augen für einen ›Taugenichts, wie er im Buche steht. Das trägt er mir noch heute nach.
Nun war er als Beobachter erschienen, stummer Zuschauer auf der letzten Bank oder stand am Türpfosten gelehnt, vergaß den Bauch einzuziehen bei den zu lahmen Passagen, ging zum Ankläger rüber wie ein Spaziergänger, nahm sich eine Zigarette aus dessen Etui, zündete sie an mit einem Flammenwerfer, tat einen langatmigen Zug – und stieß den Rauch erst nach geraumer Zeit, als niemand mehr damit gerechnet hatte, durch die Nasenlöcher wieder aus. Wenn mich nicht alles täuscht, so qualmten auch die Ohren.
Er war das Zünglein an der Waage, leckte sich kommentierend die Lippen, nickte zu den Ausführungen des Redners oder schüttelte mißbilligend den Kopf. Ein Gutachter wurde bemüht, ein Referat über Rechte gehalten. Aber auch die Pflichten des schwachen Geschlechts hob er durch Anheben der Stimme und einer Augenbraue hervor.
Krankhaftes allgemein kam zur Sprache, Eigenheiten, die bei rechtzeitiger Einleitung entsprechender Maßnahmen hätten abgemildert werden können; jedenfalls stellte sich Abweichung von der Norm heraus.
Gleichberechtigungsstandpunkte wurden abgesteckt, heruntergespielt, bewitzelt: ›Das sind meist dröge Ziegen, Nymphomaninnen, in die Richtung jedenfalls. Das mischt sich ein in Angelegenheiten, die nun mal Männersache sind. Keine Ahnung von Tuten und Blasen, aber mitreden wollen.‹ Die hervorstechenste Eigenschaft solch ausgefallener Kröten wäre Unverschämtheit im doppelten Sinne.
›Und dann in dieser Aufmachung. Wo sind wir denn hier eigentlich, beim Zirkus? Daß sie nun mal, auf Gutdeutsch gesagt, als Nichts zur Welt kam‹ – Daumen und Zeigefinger beschrieben ein Loch – ›nimmt ihr keiner krumm. Die Natur hat es so eingerichtet, ist keine Schande.
Doch alles zu seiner Zeit, Kollegen. Die da hat es zu weit getrieben: überzeugte Genossen provoziert, deren Schwachstellen ausgenutzt – der Mann ist schließlich auch nur ein Mensch – verführt mit aufrührerischen Gesängen und der vom Feind eingeschleusten Tanzart.
Ein echter Koitus ist das für einen außenstehenden Beobachter wie meine Wenigkeit. Studienhalber mußte sich unsereins den Kulturverfall zu Gemüte ziehen. Frage niemand, was dieser Exkurs mich kostete. Dazu das anzügliche Vokabular. Nicht auszudenken, wenn das Schule machte. Strafe muß sein. Sonst führen die Weiber sich bald auf, als wollten sie die erste Geige spielen, den Taktstock selber in die Hand nehmen. Sowas muß im Keim erstickt werden. Männer von unserm Schrot und Korn sind mannsgenug, wenn es denn sein muß, auch härtere Geschütze aufzufahren, nicht wahr.‹
Das Vorspiel zog sich hin. Nebensitzer aus allen Schichten der Bevölkerung beleuchteten unterschiedliche Aspekte der Lebensweise. Zutage kam jedoch stets dieselbe Litanei: So ein Subjekt ist untragbar für eine neue Gesellschaftsordnung – aus reinem Staatsinteresse. Und wer sich in den Weg stellt, wird hinweggefegt mit hartem Besen, der in historischer Stunde unserer Arbeitermacht anvertraut wurde. Speziell das Kollektiv vom VEB Hoch- und Tiefbau, genauer den dort hinverfügten Kräften der Müllbeseitigung, obliegt die hohe Aufgabe, mit all ihr zur Verfügung stehender Durchsetzungskraft dafür Sorge zu tragen – was die Reinhaltung unserer Abseiten betrifft – daß jedweder Schmutz, Feindpropaganda als Kunst getarnt, auf Schleichwegen transportierter Dreck der Ausbeuterklasse und ähnlich deklarierter Scheiß, unverzüglich dem Reißwolf in’ Rachen geschmissen wird.
›Denn niemand nicht – dies an die Adresse der subversiven Kräfte in den eigenen Reihen – hält unsern Marsch in eine helle Zukunft auf. Das Rad der Geschichte hat nun mal keinen Rückwärtsgang.‹
Sogar Aurora mit der Morgenröte mußte herhalten als Patentante. Von meiner Schutzheiligen Rosa L. kein Sterbenswort dagegen, geschweige denn von ihrem Geist. Oder Alexandra K. Im Eifer des Gefechts einst bedacht bei der Postenverteilung im engeren Ring, bald abgeschoben aufs Diplomatenparkett: Das Gruppenbild mit Dame im Album wurde retuschiert. Selbst Najumann hat nie was von ihr gehört. Ausgelöscht Werke und Taten unserer Vorkämpferinnen, die Namen und Lebensläufe der Amazonen. Ihre Gesichter sind Blindflecke im Gedächtnisspeicher der Geschichtsschreiber.
Der Abschlußverkündigung waren Frage- und Antwortspiele vorausgegangen, Harmlosigkeiten aufgebläht, dem Einfluß des Umgangs ist Rechnung getragen worden, mit Häme versehen: ›Da haben wir es ja für die Beweiskette – das fehlende Glied.‹
Auf einer Anrichte lagen lauter heiße Eisen, eine Zettelwirtschaft kurz vorm Qualmen, verbotene Schriften; ein Puzzle. Es wurde ab-gelichtet, mit der Lupe nach Spuren wie Sperma, Speckflecke und Spaß an der Sache gesucht. Spritzer undefinierbarer Herkunft lagen grob vergrößert unter Panzerglas, Schweißabsonderungen bewahrte man auf in Flakons, Eselsohren sowie Fingerabdrücke in Spiritus.
Najumann gönnerhaft: ›Kumpanen, laßt hie und da ein gutes Haar an ihr. Rupft unser Hühnchen ... halt, die Flaumfedern nicht antasten .‹ – Warum denn nicht? Wollte er etwa selber, die Sau?
›Das Wachregiment hat Vortritt‹, bestimmte er schnellfeuermäßig. ›Die Federbüschel der Paradehelme werden überholt. Deshalb.‹
Der Pflichtverteidiger ist an der Reihe, durchstreift verkrautetes Umfeld, wo Grundsteine für später zutage getretene Abnormitäten rumliegen: Man bedenke die raue Jugend der Angeklagten, das frühe Ableben des Erzeugers, Mutter Gelegenheitsarbeiterin, hielt sich als Schnitterin über Wasser. Adoptivvater bei Kriegsausbruch zur Front, als vermisst gemeldet. Und die Verhältnisse an und für sich insgesamt, als in dem Mädel die Keime aufgingen, haben ihr Scherflein dazu beigetragen, daß die Umhergetriebene sich derart negativ entwickelte.
Er plädiert für mildernde Umstände: eine Stufe unterm Höchstmaß.
Aber alles Faxen. Denn das bedeutete nur zweimal zum Tode, statt der drei Versuche bei Fehlstart – und zwar durch Methoden, um die dann noch gewürfelt wird: Ertränken in der Jauchegrube der LPG ›Frohe Zukunft‹ zum Beispiel oder Zuchtebern vorgeworfen werden im gleichen Objekt und Treibjagd durch vermintes Niemandsland ...
Ich nahm es hin, als wäre es nix, zumal die Verkündung des Urteils runtergeleiert worden war wie Wasserstandsmeldungen im Radio. Als hätte ich ein Pfund zu blechen, zwanzig Piepen, hochgegriffen, den Kopf kahl geschoren kriegen; in der Größenordnung etwa.
Nun, da es beschlossen war, mußte ich erstmal umpolen und mich mit der Lage auseinandersetzen. Was sollte eine da groß flennen. Hätte sich das Gremium bloß wie Bolle amüsiert. Und damit sie endlich ihre Schnauzen hielten, schwieg ich nach der Verlesung des Urteils wie das Grab. Ehrlich gesagt, fürchte ich mich nicht vorm Tod, dann eher schon vor einer Lebensweise nach ihrer Fasson.
Ich ließ die Jalousien runter, lauschte, welchen Trost mir die Stimme zu überbringen hatte, was als Alternative in Betracht käme.
Aber nichts da. Schweigen im Walde. Nicht einmal Flüstern kam in die Tüte. Entfernt das Geräusch einer Kreissäge: als zerteilte man Bäume zu Kleinholz, Sägespäne zum Ausstopfen von Emmi und Marie, Schlafaugenpüppchen in der Wiege, für Schneeweißchen und Rosenrot, wartend auf Prinz Eisenhart.
Meine im Rauch vergangenen Schwestern alle, es gab sie wirklich, das ist Fakt: die Inquisition, das Foltern der ausführenden Organe, Daumenschrauben, Spreizzange, Streckbett, Hoffen und Harren. Und schließlich, ob schuldig oder nicht, die Vollstreckung des über sie einmütig verhängten Schicksalsspruch: Der Scheiterhaufen.
Da! Sie erscheinen am Firmament, auf Luftschichten in Preußischblau, zeigen mit Fingern auf mich, rufen: ›Wir kriegen Zuwachs.‹
Bei der Überführung ins Stadion ›Männerfreude‹, auf Zehenspitzen stehend, sah ich vom Kastenwagen aus die Litfaßsäulen mit Plakaten beklebt: In Rastertechnik flattert meine rote Mähne als Feuerwolke über mir. Erhaschte Textpassagen: Sonntag zur Vesper.
Ausverkauft. Himmelfahrt zur Hölle. ›Hexenaustreibung‹ gibt mir wohl nur meine überhitzte Phantasie ins Netz. Der Unterzeichner: ›Volksreinigungshof‹ & ›Kulturzentrale der Einheitsfront‹.
Da kommen sie doch auf den Einfall und schleppen aus dem Museum für Völkerkunde eine von Wurmfraß schwer gezeichnete Guillotine an.
Bedienstete des Kombinats ›Sauberbleiben‹, in Einheitskleidung vermummt, beschäftigen einander durch gegenseitiges Behindern.
Die Rangältesten tragen Lederzeug, haben Zahlen auf dem Rücken. Ellenbogen- und Knieschoner sind echte Schildkrötenpanzer.
Die Vorbereitungen dauern Tage. Während der Nacht drapiert die Stallwache ein Bettlaken über den Käfig, hängt mich an die Sichel des Mondes, der sofort in die Rückenlage kippt, eine Gondelfahrt unternimmt mit der Fracht und ein Verhältnis mit mir anfängt. Aber das hab ich wohl nur geträumt, wie manch andere Kuriosität ...
Jedenfalls versprach es allmählich kurzweiliger zu werden. Dem Spannungsregler klickte ein naturgetreu nachempfundenes Auge. Eine Televisionskolonne rollte an, verlegte Abzweigdosen, hing Mikrophone in die Fahnen, richtete Scheinwerfer auf Spielstätten. Durchsagen überschlugen sich: ›Hier Löwenmaul. Stechpalme soll Märzbecher ablösen.‹ – ›Berta bitte kommen!‹ – ›Hallo Zimtzicke!
Das Futter für Trude. Und zwar bißchen plötzlich.‹ – ›Aber bitte mit Sahne!‹, näselte Roboter Atze und furzte wie ein Waldesel.
Die Verantwortlichen waren derart aufgeregt, als ginge es ihnen an den Kragen und nicht um meinen Hals. Immerhin war es als Life-Sendung konzipiert. Wenn da was schief liefe, hätten die Chargen nichts zu lachen. Kritiker wurden erwartet, die das Orakel deuten sollten, es grandioso finden oder nothing: Kümmerlinge, saugen ihre Nahrung aus den Hälsen der Schwäne, sezieren die Spulwürmer in der Scheiße von Mister Gottbegnadet. Blitzgesindel zielt, schießt und gibt Anweisungen für Posen. Ich spucke ihnen ins Linsengericht.
Und aß von den mir zugesteckten Ingwerstangen eines Bewachers. Woher wußte der? Die haben alles im Sieb: Vorlieben, Schwächen, ob Stuhl gehabt, die Konsistenz, ob Geschlechtsverkehr, Zeitdauer, Intensität. Trotzdem nette Geste. Welcher war es denn.
Scheißegal auch, sehen alle gleich aus. Alles Ratten, diese Schweine.
Eine Schalmeienkapelle war angetreten. Ihre himmelschreienden Töne ließen sowas wie Rührung in mir aufkommen: Die eigene Mitwirkung im Verband kam hoch. Der blindwütige Glaube an das Rechthaben der Partei kroch schamrot aus den Nagelbetten. Ich ließ locker, atmete durch, schon hatte mich wieder eingeholt.
Die große Pauke holperte über die Aschenbahn. Viel Volk war zu erwarten. Dann käme die Stelle im Programm, wo die Delinquenten ihre letzten Worte äußert. Verfügbare Zeit: ›Ganz nach Belieben‹. – ›Bis ihr die Luft weg bleibt‹, hat ein Witzbold handschriftlich eingefügt.
Ansprachen sind nicht meine Stärke. Ich sollte mir Penthesileas Schreie an die Versammelten ausborgen, ihnen vor der Nase wegsterben, wie Kleist das einst beschrieben hat. Sich selbst den Hahn abdrehen, durch Willensanstrengung den Atem anhalten: geschafft.
Wen gibts denn noch, der alle Schlechtigkeit der Welt, die Feigheit und den Widersinn, den Brüdern um die Ohren haut. Das Klärchen von Egmont: ›Hört Nachbarn, die freche Tyrannei, die es wagt ...‹ Und wie die Faust aufs Auge passt Johanna ins Konzept. Die Heilige Jungfrau von Orleans: ›Edler Herr Ritter, gebt mir ein Pferd, eine Rüstung, paar Soldaten ...‹ – Ach, behaltet euern ganzen Plunder. Die haben Weitstreckenraketen und Gott ist ewig auf Motivsuche.
Besonders die Richter kriegen ihr Fett weg. Ohne Pardon greif ich sie an unter der Gürtellinie, zeige mit dem Finger auf den Geheimschlitz ihrer Beutelhosen, zerreiße das Sackfutter in der Luft und der Weg ist bestückt mit Pfründen, Feinkosthappen; Hummer rennen Richtung Strand. Die Kamtschatkakrebse aus der Dose sind verloren.
Ein Reflex schaltet den Rückwärtsgang ein: Reaktion gleich Null.
Sehe schon das verdutzte Glotzen und Augenrollen zum Platzwart hin, die Frage im Blick: Ob man der Übergeschnappten nicht das Handwerk legen sollte, das Maul stopfen mit der Klosettbürste ...
Ein Abwinken beruhigt die Aufgebrachten. ›Paar Eskapaden einer Schaustellerin nimmt keiner ernst‹, meldet der Ticker von ADN.
Der Kammerälteste und Befugte der Richtlinienausgabe jedoch macht immer übertriebener gute Miene zum immer böser werdenden Spiel.
Aber noch war alles bloß gedacht. Ich sah nur, wie es sein könnte. Die Rolle meines Lebens lag vor mir und wenn ich die verpatzte ... Keine Sorge! Das Lampenfieber ist wie weggeblasen, wenn die Scheinwerfer brennen. Dann gebe ich meinem Affen Zucker und die Balken biegen sich. Wußten die von der Exekutive überhaupt, was ihnen bevorstand? Meine Freunde würden alle kommen, Kabinettstückchen abliefern, Klasse zeigen. Die Kinder sind sowieso auf meiner Seite, schenken mir Anziehpuppen, wollen Blumen streuen.
Das Spießergesindel bleibt hoffentlich zuhause, sieht in mir seine vertanen Träume, sagt ‹schamlose Person‹ und ›das kommt davon.‹ Muhme Martha, fast taub und blind, hat Morgensonne im Gesicht, erklimmt die Stufenleiter, schreit mir Aufmunterungen ins Ohr.
Hans Kopflos mit dem steifen Bein hat auch was rübergerettet ins Erwachsenenfach. Sein Name war ihm sowas wie Verpflichtung:
Ständig versucht er Imfallenbegriffenes aufzufangen. Nicht wie ein Onkel der Fürsorge. Er kennt das Nachtsein unter der Seufzerbrücke, könnte Lobenswertes von mir zur Sprache bringen.
Zum Beispiel die Subbotniks, als Hochwasser die Deiche durchbrach oder der Sabotageakt in der Fabrik Rüdersdorf. Wir haben uns abgerackert wie das liebe Vieh, damit wieder Klarschiff war am Jubeltag.
Und ich immer vorneweg, keine Dreckarbeit gescheut. Auch weil es Spaß machte im Kollektiv. Oder als die gelbgestreiften Kartoffelkäfer ausgekippt wurden über unsere Landwirtschaft von kalten Kriegern beim Überfliegen des Hoheitsgebietes: Da bleichte die Sonne mein Haar zu Weizenähren während der Feldeinsätze. An Sportübungen hab ich teilgenommen zu Ehren der Republik, an Aufmärschen ...
Überhaupt war ich ein Musterexemplar zum Vorzeigen gewesen, geboren zwischen Schlössern und Katen. Wir hatten einen Apfelbaum am Feld, Kaninchen, denn Kleinvieh macht auch Mist. Sogar fliehende Pferde fingen wir ein zwischen den Fronten. Da ging der Krieg zu Ende und das einst blühende Land lag in Schutt und Asche. Trümmer mußten beiseite geschafft werden von den Frauen – und inbrünstig sang ich mit im Chor der Singvögel: Bau auf, bau auf!
Freie deutsche Jugend ... Denn weil wir jung sind, ist die Welt so schön.
Davon wollen sie jetzt nichts mehr wissen, paßt nicht ins Konzept, schieben mich lieber ins Feindeslager. Halbseidengewirkte sollen angeblich mein Umgang sein, negative Elemente. Sicherheitschef Specknacken bezeichnet kritische Geister als Banditen, nennt sie Schufte, hab es mit eigenen Ohren vernommen. Diese verkommenen Ärsche wollen bestimmen, wo es langzugehen hat in Freundschaftsdingen.
Paul Mortimer dagegen, Bestarbeiter, Schatz für alle Lebenslagen, bringt im Handschuh den Nachschlüssel vom Garten Eden, genauer gesagt: für Laube Sechs, Hundsgasse-Ecke-Siebenschläferweg; Schlupfwinkel für jede Art von Untertauchen. Nebenbei steckt er mir Kraftausdrücke zum Reinweben in den Gesprächsstoff zu, Tarngarn sozusagen. Mit seinem Geradeausdraufzu half er mir oft aus der Stimmungssenke. Jo und Käthe bekämen ihren Auftritt vor großem Publikum, Tausende kriegten die Wucht unserer Ideen um die Ohren geknallt durch elektrisierende Ausrufe. Der Funke springt über, zündet – und ehe die Knacker sich versehen, ist die überfällige Revolution im Gange. Später wird man rumrätseln:
›Towarisch Jericho, wie kann passirowatch Katastroffja bei Sicherheitssstufe JOJ.‹ Was soviel bedeutet wie: ›Jeder observiert Jeden.‹ Selbst zuverlässigste Zuträger hatten ein Trio zugesellt bekommen.
Eine Vision: Die Masse verwandelt sich in das gefürchtete Einzelwesen.
Die Hauskatze, eben noch am Ofen schnurrend, sträubt ihr Fell.
Wundmale auf den Wandgemälden schreien grell auf im Gemetzel. Ein Farbbeutel zerplatzt am Transparent, auf dem zu lesen steht: ›Alle Macht den Volksvertretern. Es lebe unser geliebtes Politbüro‹.
Die Menge hat rote Pupillen. Der Hunger auf einen Sprung höher wird schier unerträglich. Eine Bestie mit gierigen Lefzen stellt sich auf die Hinterbeine, faucht in Richtung Kaiserstuhl. Ein Blitz bannt die Szenenerie zum Standbild, verschafft vorerst einmal Übersicht.
Die Abgesandte mit mir verwandten Zügen, in bewegenden Einstellungen und klarer Optik, stellt sich in Positur, wendet sich in einer Art Sprechgesang ans Podium, wobei sie bemüht ist, Titel und Funktionen scharfkantig zu umreißen: ›Werte Sitzverteiler und Zulieferer, Devisenbeschaffer sowie Freie-Spitzen-Verteiler, befugte Hehler und Handlanger, allerhöchster Machtausübender, Väterchen Frost!‹ – Und in Gegenrichtung: ›Freunde! Die Stunde der Wahrheit ist da. Erleben wir den historischen Wendepunkt in unserer Geschichte.
Dieses Papierchen hier in meiner Hand nennt sich Verfassung. Haha!
Ein überholter Fetzen ist das, zum Arschabwischen notfalls zu gebrauchen, zum Ausstopfen der beim Oktobersturm-Manöver verdreckten Stiefel. Der inhaltliche Wert jedoch ist zum Davonlaufen. Nein, niemand wird zur Republikflucht aufgefordert! Eine Expertengruppe wird verlangt, die Licht ins Undurchsichtige bringt, Filz entfernt, Zahlen unter die Lupe nimmt, der Bedeutung des Wortes auf den Grund geht.
Die Argumente der Agierenden sind nicht von schlechten Eltern:
›Ihr redet von Demokratie und schwingt dabei den Gummiknüppel. Denkt wer abweichend vom Diktat, wird Fraktur mit ihm geredet: Aufs Maul kriegt er was vom verlängerten Arm und ab mit ins Verlies.
Das predigt naßforsch die Neue Zeit mit altbewährten Methoden: Hungerration, Dunkelhaft oder Blendlicht zu nachtschlafender Zeit. Ich habe die Beweise unterm Stroh.‹ – Gott, jetzt nennt sie das Kind vom Sekretär beim vollen Namen, zählt Privilegien auf, bemerkt dazu: Die Zuschüsse nicht mitgerechnet, weil verankert im Gesetz, das Volk hat zugestimmt, gutgläubig gegenüber dem neuen Väterchen Staat.
Es fallen Mauersteine auf geschliffenen Marmor. Kühl mische ich mich ein in die Handlung und Kraftausdrücke unter die Ausführungen:
Sacklaus taufe ich Bürgermeister Egon Pätze, woraufhin der sich bleichgesichtig eine Krone abbricht beim Zähnezusammenbeißen. Pißnelke geht an Essenmarken- und Bezugsscheinausteller Schlunz. Stinkstiefel heißt Major Knopfauge: Schlüssellochkucker der, weiß stets vorher, was untern Tisch fällt oder hervorgeholt wird aus der Mottenkiste. Ein Pfaffenpimmel ist der Parteigenosse Plattmacher, Stußprediger vor dem Herrn. Der Schmierbauch unterm Blauhemd steht ihm auf der Stirn geschrieben; in Braun hätte er das selbe Profil.
Sprachlosigkeit. Das weiß nicht, ob sich schieflachen oder züchtigen mit der Sechsschwänzigen. Kollege Meierlein ermannt sich räuspernd:
›Die Kulanz ist überstrapaziert, Genossen. Der Spaß geht mir zu weit.‹
Da grollt das Meer: ›Es fängt erst an!‹ – Güsse in Breitwandformat spülen die Oberschicht samt Gespielinnen der Bosse aus Wirtschaft und Kultur von der Rampe. Denk einer nicht, in meiner Rage vermische ich Zeiten und Territorien. Die Auf- und Anpasser vom Schlage Wiederwindweht sind längst wie eh und je vertreten.
Menschenverachter und Spekulanten bringen ihr Schäfchen ins Trockene und richten die Eisenrohre gegen die Ansammlungen. Gewehrsalven ballern Löcher in den Bauch von meinem erfundenen Riesen, der mir, wenn schon nicht unverwundbar, so doch auch nicht besiegbar schien. Und die Erde dampft von verrinnendem Lebenssaft. Ein sich schnell erwärmender Morgen nach den Drei Eisheiligen.
Stückwerk hab ich gezimmert. Scherben halte ich in den Händen, Anna versucht zu kitten, zusammenzusetzen, verletzt sich erneut. Oh, nicht so viel Blut. Das Bett schwimmt davon. An den Beinen heißkalte Rinnsale, Flauheit in Gelenken, das Denken versinkt.
Die Elite kriecht aus ihren Bunkern. Demütigung folgt auf dem Fuße:
Besen, Schaufeln werfen sie uns zu. Wir kehren den Rest zusammen. In forschem Deutsch die Aufseher: ›Bißchen flotter, Leute. Keine Müdigkeit vorschützen, Mädels. Sonst machen wir euch Beine, Jungs. Los, wirds bald! Hopphopp! Ruckzuck! Wer sagts denn ...‹
Es kann auch ganz anders enden eines Tages. Das Glück ist launisch, wie man weiß. Und Zufälle sät nicht allein der Wind. Mit bißchen Nachhilfe ist schon mancher Potentat vom Stuhl gekippt worden.
Tagträume. Noch war Zeit. Stolz wuchs mein Kopf als Wipfel auf dem Torso aus Fleisch und Blut voller Empfangsquellen, auf der Frau, die ich war und gleichzeitig ihr Spiegelbild. Ich sehe ihr zu, fühle den kritischen Blick auf mir, der sagt: Verlier nicht den Faden bei dieser Nabelschau. Ganz nett, deine Schilderungen, aber was will sie uns damit sagen? – Dann übernimm du doch die Feder, Schwester, um dich damit zu schmücken, wenn deine Motive selbstloser sind.

Die Herren hielten Siesta daheim. Ein Nickerchen hinter der Zeitung.
Alle einschlägigen Hefte lagen herum, Provinzgazetten, Kreisblätter.
Wer stand neben wem bei Aufzählung von Namen, Titel, Funktion?
Keine nennenswerte Auffälligkeit in der Reihenfolge. Die Beine hochgelegt dem Blutdruck zuliebe und ein abrupt friedliches Schnarchen.
Das von der Gattin einst noch persönlich gepflegte Blattgeranke im Blumenfenster des soliden Gebäudes in unauffälliger Landschaft, mit Wachposten vorm Haus – eine Zimmerlinde war es, die warf bizarre Muster auf das zwar ältliche, doch wohlgeformte Gesicht.
Ein Siegfried, wie er im Buche steht, dazu auf der richtigen Seite ... Träumte er von dem Helden, der er einst war ›im Tal dort am Rio Jarama‹, wo sein Schicksal lauerte und die Faschisten ihm fundamentale Verwundungen zufügten. Aber Medizinmänner im großen Lager halfen, schlugen dem Fakt ein Schnippchen: Denn die Lust auf’s Weib war, neben dem hohen Amt, nunmal sein Ein und Alles. Der gute Mosel war fast ausgetrunken. Es gab reichlich im Keller, der bombensicher abgeschottet war. Nicht gegen den letzten Knall, aber wer denkt an so was bei dem bevorstehenden Kulturereignis, welches ja nicht auf der Stelle tritt während der Seitensprünge ...
Viel Eingewecktes stand in Regalen: die Williamsbirne, Ananas. Spargelköpfe, Gürkchen, polnischer Schinken in eckigen Büchsen, Gänseleberpastete in ovalen, Vorräte an Grundnahrung. Und eine neue Ölheizung; ich weiß Bescheid. Im Schlafzimmer war eins der Betten rausgerissen, jenes, wo es drin stattgefunden hatte ...
Nach permanenter Untreue seinerseits, hündischem Ausharren ihrerseits, als die Kinder dann abwanderten ins Internat, hat sie die Staatsrente sausen lassen, in die Hände gespuckt, (›das steigert das Bruttosozialprodukt‹, singt das Duo Chris & Frank) und von vorn angefangen als Schreibkraft – unterstelle ich einmal – um sich vom Joch zu befreien. Auch die Hellerauschrankwand wies Lücken auf: Ein Meter Ledereinband fehlte, windschief die Kriminalromane. Ich nenne ihn mal Seine Durchlaucht – denn Märchen sind zeitlos, ich muß es schließlich wissen – auch um Spione hinters Licht zu führen. Vor denen hat er nämlich einen Heidenbammel. Die suchen ihn regelrecht heim, ganze Alptraumkolonnen hocken im Empfangsraum, dem Rollschrank der neuen Vor- und Hinterzimmerkraft, derselbe Typ wie Inge einst: blond, stramm, aufblickend zum Manne und dabei das Heft in der Hand habend. Als Gnome verkleidet, häßliche Hunde, Sofarollen, in Form von Luftblasen, verstehen es die hinterfotzigen Geheimdienstler der Gegenseite, ihm die Luft abzudrehen, wenn er rumsegelt im Schlummertrunkland, dem Unbewußten ausgeliefert, dahintreibt im Strome Fantasma und fast ertrinkt an seiner eigenen Spucke. – Und Ingemaus überwacht Schritt und Tritt, die Telefonate, Post. Das nachgeschickte Päckchen vom Jagdschloß Wernigerode schlitzt sie auf und knallt ihm einen nach Maiglöckchen duftenden Büstenhalter in die auffliegenden Blätter:
Berichterstattung über die Außenministerkonferenz auf neutralem Boden, der Schweiz. Er stottert verlegen, lacht sich eins, denkt halb vergnügt, halb aufgebracht: Kein Verlaß mehr auf das Personal. Ohne Taktgefühl, die Domestiken in den von uns notgedrungen übernommenen Schlössern und umfunktionierten Erholungsobjekten.
Man sollte Frau Rosalie auf Schulung schicken, einen Qualifizierungslehrgang absolvieren lassen, damit sie den Nachweis erbringt, entsprechende Eignung für solcherart Vertrauensstellung zu haben, abgehalfterte Rassestute, diese Leiterin des Wochenendquartiers für geschätzte Intelligenzquotienten. Eifersüchtig also. Muß sie mir vorknöpfen nächstens, kleine Aufmunterung verpassen, entsprechende Injektion, auf daß sie wieder spurt, das abgeblühte Rösleinrot. ›Ich war es nicht‹, sagt er zu Ingelein, seiner Derzeitigen. ›Vielleicht Kesselflicker, Waldemar oder General Heimlich; bin ja nicht deren Kindermädchen.‹
Mich fragt er, ob ich nichts vermisse. – ›Dich Väterchen‹, schmeichelt ihm eine von schon weiter herkommende, aus’m Paradies verstoßene, im Dickicht der Städte aufgeblühte, vom männlich orientierten Sozialismus erzogene und Eurokommunismus beeinflußte Eva ins behaarte Ohr; der soll ihr nämlich aus der Klemme helfen, falls es zu eng wird.
Er geht Stellungen durch im Geiste, den er kontinuierlich aufhellt mit selbigen in flüssiger Form, kontrolliert Unterstände, Schützengräben. Denn die Vernichtung aller feindlichen Standorte ist Zielsetzung des Unternehmens X-Y-Z, um heldenstrahlend vermelden zu können: ›Mission beendet. Auftrag ausgeführt. Bis auf den letzten Mann. Drum schnellstens Nachschub produzieren.‹ – Oder dachte er an die einst vielversprechende und heiß begehrte Schlampe, verdorbenes Weibsstück das, ein Schmeichelkätzchen, gleichzeitig furchtlose Amazone, seine alleinige, von ihm auserkorene Königin beim Küstenschutzvergnügen von Rostock-Hafen. Nun war sie selbst der Unordnung anheimgefallen, verführt, verbrecherisch geworden durch Umgang mit Ketzern, eine zentrale Figur auf Gegenkurs, den Raben geweiht.
Jesus Maria! Ein frostiges Erschauern verwandelte den Atem des Porträtierten in eine Raureifwolke, Bartstoppeln erstarrten zu Eisstäbchen, so daß die Beschreiberin Mitleid empfand für den eisernen Gustav, der irgendwo ein Herz hatte, garantiert aber Hoden, kiloweise Orden und verhältnismäßig wenig Parteidisziplin.
Der Vorsitzende im Rund sah meist mehr oder weniger streng den Ausrutschern des Hünen nach und nahm ihn dann auch ins Gebet: Wenn er sich doch mehr mit zuverlässigen Genossinnen abgäbe in den Mußestunden, nicht so massiv den Sternchen aus der Unterhaltungsbranche den Vortritt ließe, bliebe es so gut wie in der Familie, daß der edle Streiter für Verteidigung einen demolierten Säbel hat. Käme das ans Tageslicht, du lieber Himmel, schlüge der Gegner Kapital daraus.
Wenn die wüßten, was Hoheit für ausgemachte Lausbubenstreiche auf’m Kerbholz hat: Verkleidungsarien á la Fledermaus und ähnlich gestrickte Hinterslichtführoperetten ließen sich schwer aussparen bei der Veranlagung. Sein trinkfester Adjudant war stets mit von der Partie, kriegte was ab vom Schlemmermahl: eine an Helden wenig interessierte, von femininer Sinneslust dafür um so mehr verzückte Biene an den Stock gesetzt, schleppte tagsdrauf in Verkleidung von Otto Normalverbraucher Zivilzeug an im landesüblichen Mittelklassewagen, in der Seitenstraße parkend. Das kombinierte Freizeit-Dienst-Auto, die Tatraschleuder, bescheidenere Ausgabe der Regierungskutsche SIM, wär aufgefallen bei hellichtem Tage.
Und mit bißchen Hufescharren auf’m Boden der nackten Tatsachen – das Erinnern scheint ihm Mühe zu machen – war der Schießplatz bald heilfroh überquert – und die nächste Sause konnte angepeilt werden.
Na, Königliche Hoheit, hinterlasse ich dir nicht einen tollen Nachruf? Läßt du mich wirklich über die Klinge springen? Ich weiß, du hast alleine nicht die Macht. Doch wenn du wolltest, mein tönernd Roß:
Kniefall am Kopfende des Tisches von – weißt schon wen ich meine – und alles ist ein Spuk gewesen. Jetzt schnell den Rührlöffel in den Brei, der ein Gang ist von meiner mir laut Verfügungsbeiblatt zustehenden letzten Mahlzeit. Husch – und weg das Raritätenkabinett!

Was tut sich denn da unten: Fußvolk kreucht und fleucht nach Anweisung. Der vordere Ring hat Augenbinden um, Sehschlitze.

Als das Holzgestell dann endlich dastand mit Hauruck und Gepruste, sah ich den Birkenzweig in einer Kerbe des Querbalkens wachsen. Bin so eine, glaube an Zeichen; das Grün von der Weißstämmigen ist ein Wink mit dem Zaunpfahl: Ich werde mit dir unterm Maibaum tanzen und nicht wissen, wann Ende ist... Du alleiniger, von der Weltenbummlerin Ima angebeteter Erdensohn, mein Traumschatz Fabadam. Amen.

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MONDSÜCHTIG - August 1972

Rauchglasfarbige Dämmerung liegt zwischen den Rundungen der Hügel, geräuschlos fahren Spitzgiebel heran, ein Wetterhahn wird ausgeblendet, Stadttürme erkennt man im Dunst. Dann den bis auf den Grund durchsichtigen Aquamarin zwischen Viadukt und Pflaumenhain: ein echtes Still-Leben; die Einfassung säumen Seerosen. Im Hochsitz arbeitet Wurmfraß an dessen Verfall. Jetzt schieben sich weidende Herden ins Bild, Ansichtskartenmotive; eine Endmoränenlandschaft.
Unverhältnismäßig viele Strichmännchen sind unterwegs, verursachen Schattenspiele im Gegenlicht. Ein Bestimmter hat die Umrisse von Ix Ypsilon. Was soll ich drumherumreden. Selbst wenn ich ihn Kollege Zett nennen würde, einen Zwetschgenzüchter aus ihm machte, letzter Buchstabe im Alphabet, obwohl er ja am Anfang steht; jeder kennt inzwischen seine Täuschungsmanöver und meine Lust darauf, ihn zu enttarnen – wobei schon Pannen passiert sind, davon abgesehen. Einst verwechselte ich ihn mit einem Anhänger vom Tschekisten Pankowitsch, dem dahergelaufenen Mitläufer namens Läppisch: wenn mich der Teufel reitet, projiziere ich ihn in einen zufällig Vorbeikommenden rein, mache einen Prügelknaben aus ihm, haue ihm kurzerhand eine runter. Neulich hat wer prompt reagiert... Bin mit blauem Auge davon gekommen, während dem Unbekannten die Nase blutete und die Erde dampfte. Es passieren mitunter so Sachen aus heiterem Himmel. Mal sehen, was diesmal läuft, ob wer was auf der Pfanne hat.
Die Rhythmen der Beat-Band ›Silenzium‹ erschüttern die Laubkronen der Umgebung. Obwohl die Freilichtbühne ›Krähenwinkel‹ weit entfernt liegt, war es plötzlich wie nebenan, dann wieder nur zu ahnen; jenachdem, wie der Wind sich drehte. Hingestreckt lagen Gräsersorten, verschmolzen mit Schmalz- und Butterblumen von der Tageshitze. Auf anderen Flächen lagen sie aufladebereit in Häufchen am Rain. Nahe der Senkgrube, wo Riesenhalme und handtellergroß vierblättriger Klee wuchs, entsprechend Nacktschnecken und Käfer aus reinem Gold vorkamen, ergab die Heumenge laubenartige Schober, geeignet zum Stationmachen an kühlen Abenden für Wandervögel oder einheimische Fremdgänger, auf einen Sprung kurz zwischen Luftschnappen und ›Aktuelle Kamera‹.
Nicht weit weg die Farbflecke der Siedlung. Prisen von Rauch, Geruch wie nach faulen Eiern, oder Schwefel, hergeweht vom Kombinat ›Schwarze Pumpe‹. Das Aroma der dahingerafften Pflanzen blieb jedoch dominierend.

Der Mond zeigte sich anfangs unauffällig, dann wurde weiß wie die Unschuld, aber mit Grübchen am Kinn, lief grün an, als eine Explosion am Übungsplatz der Kampfgruppen erfolgte, worauf er schmerzhaft lächelnd, als hätte er eine Gallenkolik, seine schadhaften Zähne entblößte. Einige Füllungen schienen aus Mangan zu sein; auch Kupferminen waren in seinem Besitz, Weißgoldgruben. Sagenhaft, was er heute alles zu bieten hatte. Als hätte er sich scheckig gelacht über das Fronttheater bei Eisenhüttenstadt, denn er wusste mehr über Land und Leute – und wie der Hase läuft: Kunststück von seiner hohen Warte aus. Eingangs erwähnte Person ähnelt obigem Gesicht im Halbprofil. Aber was hat der Kerl hier verloren. Spioniert mir anscheinend nach. Soll er.
Die Einzelgängerin überholt ein Trupp Draufzustürmender im Männerschritt, der zur Arbeitsbesprechung, der Ernteeinsatz- und Normfestlegungsdebatte wollte. Ich hatte mich verschätzt, was die Entfernung angeht, paar Schritte ab vom Weg im Bach geplätschert und glattgewaschene Steine durch die Hände schlüpfen lassen, verwachsene Äste beäugt, Auswüchse, Verschlingungen, von der Natur verzauberte Liebesakte bestaunt, unzählige Lebewesen, alles was da kreucht und fleucht, ihr Paaren und Werken zwischen Baum und Borke, auf wiegendem Schilfrohr, im freien Fall. Kinderreime aufgesagt, die alten Lieder geträllert: ›Spinn, spinn, meine liebe Tochter, ich schenk' dir ein’ Mann. Ach ja, meine liebe Mutter, ich fang schon gleich an‹. Hochgefühl entstand. Jedenfalls braute sich was zusammen, ein süßes Mirakel sozusagen – in der Richtung was. Die Luft schmeckte nach Honig, roch nach Goldregen, war ein Tanz aus durchsichtigen Kringeln, die wie frischgeschlüpfte Seidenraupen aussahen. Per Vogelfluglinie mochte die Entfernung akzeptabel sein, durch die Abweichungen und Umgehungspfade, das abrupte Querfeldein, wurden die Füße schwerwiegender, darum hängte ich mich an die forschen Schrittmacher ran.
Jetzt war der Mond ein Scheibchen Apfelsine, zwinkerte, wenn ich schräg rauflugte, verzog verwegen den Ausdruck nach Art der Anmacher wie Don Juan, dann schmachtendes Casanovalächeln.
Das kann nicht wahr sein, denke ich, als er so blieb; was mich jedoch nicht abhielt, zurückzuplinkern. Obendrein riskierte ich ein Kneifauge. Und hast du nicht gesehen, hielt er sich die grad entstandene Schleierwolke vor den Mund. War er pikiert, geschmeichelt, verstimmt, gelangweilt, amüsiert? Der weitere Verlauf durch Zeit und Raum wird Auskunft geben über die jedenfalls traumhaft verlaufende Entwicklung unseres Verhältnisses. - Die Gegend war weiterhin belebt. Figuren gingen dorthin und nach da, in ausgedienten Militärmänteln, knöchellang, mit Beuteln voller Tauschware und Proviant für den Eigenbedarf; deutlich stechen Flaschenhälse heraus für den Fall aller Fälle: Die nächste Sause ist fällig.
Mein Gegenspieler zu ebener Erde trägt einen Schlapphut und ähnelt einer Bohnenstange. Ich mag Bohnenstangen, sie geben den Feuerblüten Halt. So können sie sich bis zum Dachfirst hochringeln und haben freien Blick bis Berlinchen bei klarer Sicht. Die gepunkteten Schlüpflinge dann, wenn ihre Zeit reif ist, mögen meinetwegen in den Sand fallen, so daß die Schweine auch was davon haben. Pauline aber, die macht ein Festessen daraus, mit Hammelfleisch, Knoblauch, dazu die Kaiserbirne als Beilage; Ima sind die Rotkelche an der Kletterstange trotzdem lieber.
Wie angewurzelt steht der Mensch am Graben und springt aus dem Stand wie eine Eins rein in den wilden Schnittlauch. Die Schöße seines Wettermantels sind zwei Schwalbenschwänze, sein Körper eine Gerte. Mit federnden Beinen kommt er an auf der Scholle und tänzelnden Schritts näher, wegblickend, zum Firmament hoch, auf Maulwurfshügel runter, besichtigt einen Fuchsbau und die Kiebitznester im Weißdorn. Vorsicht Fangeisen! Jetzt wandert sein Interesse zur Überlandleitung rauf. Er tut, als verstünde er was von Bewässerungssystemen oder Landwirtschaft. Wie der Drainagen begutachtet, sich aufspielt, dieser Geck! Der war doch nie in einer praktischen Ausbildung, Gernegroß der. Wäre ganz was Neues. Sollte das Gimpelchen je einen Finger krumm gemacht haben für ‘n Handgriff in der Produktion, bin ich die Königin von Saba. Und trotzdem, dieser Tag ist einfach lebenswert.
Die Kühe in der Koppel malmen Vorgekautes von der Vesper durch, klatschen den Schmeißfliegen zur Freude und zum Nutzen der Landwirtschaft dampfende Fladen in die Handlung. Neuerdings heißt es, Kuhkacke mache den Himmel eher kaputt.
Die sogenannte Schutzschicht werde porös, so daß Gottes strafendes Auge des Menschen Fell leichter durchsengt als vor dem Wissen davon; was sie sich aber auch alles ausdenken, um die Stimmung anzuheizen.
Mit einem Ruck hören die Vögel auf zu zwitschern, so werden sie dir erst recht bewußt. Ein paar Solisten tanzen noch aus der Reihe: Oh, eine Nachtigall! Die Brust hebt sich, gesteigertes Empfinden, tollkühne Gedanken. Und da sagt eine Stimme: Wie wär’s mit uns zwei Hübschen, vielmehr denkt das die Lustwandlerin laut vor sich hin. Das Abenteuer hockt im Busch, da führt kein Weg dran vorbei. Und ein ungewisses Etwas kitzelt das Traumweib bereits den lieben langen Tag über im Nacken und an anderen Stellen, verteilt gießkannenstrahlartige Schauer, weil ein bestimmter Jemand Juckpulver – diesen seidig-pelzigen Samen, also Innereien von Hagebutten, zarte Wildrosenblüten waren das kürzlich noch – in die Luft gestreut haben muß.
Und Zischboingdoing! stehen sämtliche Abzweigdosen unter Strom.
Der Mond sagt launig: ›Du da! Meint sie mich mit ihrer Anmache? Bin stets zu Diensten, einer läufigen Fußgängerin aus der Klemme zu helfen.‹ Wie bitte, hab ich richtig gehört? Er nennt mich beim Vornamen, rückwärts gesprochen: ›Ami‹, so daß ein Schmelzton sich hindehnt bis runter ans Ufer von Fischer Fritsches Hütte. Mann, ist mein Ansprechpartner vollgesoffen mit Kraftstoffen aus Gottes freier Natur. Zusätzlich hat er dieses Flair aus Urzeiten noch und bereits auch was aus der Moderne: ist unverschämt vertraulich - trotz des Abstandes. ›Es reicht für eine ringsrum runde Sache‹, meint Ludewig verwegen. Gespielte Pause beiderseits. Er dann: ›Laß dich nicht täuschen von meiner dunklen Seite.‹ Ein fetziges Rauschen flutscht wie ein Blindgänger von seiner Abschussrampe durch Luft und dreht eine holprige Pirouette um meine Statur in Bauchnabelhöhe. ››Und‹ sagt er, ›spürst du was, Süße?‹ – ›Also Sowas aber auch‹, bringe ich gerade noch raus, denn diese Unverfrorenheit und sein direktes Rangehen, haben mir glatt die Sprache verschlagen. Bald bleib ich ihm jedoch nichts schuldig mehr, sage beherzt: ›Püh! Kannst dich gern schwerer machen, leg ein paar Pfunde drauf.‹ – Und ohne weiteres Palaver drückt er mich rein ins Heu.
Leute der Kooperative denken, ich will ausruhen, nuscheln durch die Zähne: ›Sie hatte Nachtschicht.‹ – Ein Bekannter aus der Kälbermast legt was zum Naschen hin. Ima murmelt ein Dankeschön.
Am Haselstrauch bleibt unentschlossen, doch weiterhin präsent, der Umriß von dem viel beschworenen Satansbraten namens Anastas. Mit dem zurechtgeschnitzten Rosenstock prüft er Sumpftiefe, Ablagerungen von Chemiedünger und stochert, Gleichmut demonstrierend, rum in einem Modderloch, pfeift vor sich hin, wenn mich nicht alles täuscht, in Fis-Dur. – Nach meiner Schätzung hat der Erdumkreiser und Besteiger meiner Gestalt nun das Gewicht einer sich geschmeidig windenden Windhose. ›Zu zach‹, meint die Erdbewohnerin, ›leg was drauf.‹ Da verwandelt er sich in eine Art Fruchtpresse, gibt mir den Hebel in die Hand – und es funktioniert: Die Säfte fließen.
Eine Mulde formt sich, grünende Unterlage, griffig die Erde, wird eins mit der Dahinströmenden. Bald sind die Abdrücke der Pflanzen Muster auf ihrer Haut, wachsen ins Fleisch und wunder-was-für Zaubermittel gelangen auf direktem Wege in die nun alles mit sich reißende Blutbahn. Des Mondes glühende Arme stemmen Ima gegen den sonst unerreichbaren Grund vom Universum, heben sie hoch an sein Silber. Herr aller Mächte, wie dieser Wechsel gut tut. Und schon geht’s rund. Damit Er sich noch steigert, wehrt sich die von mir angeheuerte Doppelgängerin zum Schein, als zusätzliche Würze gedacht und der nicht gerade zimperlich zu nennende Liebhaber, geht darauf ein und gibt der Schwester, was sie braucht. Messerzungen gehen aus sich heraus, scharfkantige Ellenbogen, ein Phallussymbol nach dem anderen stößt sich an wollüstigen Flanken. Meine Herren! Manometer! Der hat vielleicht einen Ton am Leibe. Urlaute, der Singsang, Patsch und Tatsch, die Lachnummern: alles ist im Preis dieses Naturspiels mit inbegriffen. Er übergießt mich mit hauseigenem, wohl in seinen Klüften gekeltertem Wein, Marke Stierblut. - Vorübergehende fragen: ›Ist alles in Ordnung, brauchst du 'n Schluck?‹
Spaß beiseite: Schon wenn ich ein Glas Wasser trinke, ist es ein Unding, auf Fragen zu reagieren. Sollte es doch zu einer Störung kommen bei der Auffüllung des Verteilers im Innenbehälter, seiner Abzweigungen, will sagen, die Einhaltung des Sicherheitsabstands zur Intimsphäre nicht gewahrt, eine mehr oder weniger erzwungene Reaktion provoziert wird, wirft die große Unbekannte mit einer aus mir herausbrechenden Bewegung das Ganze vor die Füße des Störenfrieds: Knallschoten explodieren, eine Schrecksekunde lang herrscht heller Wahnsinn, Verlegenheit folgt auf dem Fuße ... Eine Erklärung gibt es nicht. Im vorangegangenen Fall stellt sich die weibliche Person schlafend, bis die Meute weiter ist. Sie sind feinfühlig, tasten nichts an. Zwar schielt Semmelkopp tragikomisch auf die günstige Gelegenheit, jedoch Erziehung zum Respekt vor allem Wehrlosen liegt ihm wie Blei in den Knochen, läßt den Jagdtrieb verkümmern, im Sprung innehalten mit eingezogenem Schwanz.
Endlich ist der Trupp vorüber und hurtig lasse ich mich wieder ein. Jetzt holt er auf, zeigt, was er noch für Dinger auf’m Kasten hat.
Ein Sämann zieht vorüber, streut Puderzucker ins rosige Geäst. Der Spiegel zeigt Sichelgesichter mit wechselnden Masken. Ein Ungeheuer: weg mit dir! Schnellspurt, heftiger Ritt. Hilfe Madonna! Himmelsmächte kämpfen für und gegen sich.
Die Silhouette des Mannes in Sichtweite. Ist es sein Rücken, den er uns zuwendet, in der Hocke sitzend, pflückt er Blumen, Heilkräuter, gräbt er nach Tauwürmern, einem Schatz, betrachtet er gelassen, wie ich mich hier winde, die Augen verdrehe, schamlos der freien Wildbahn ausgeliefert, meine Beine öffne, es mir machen lasse vor aller Welt, es treibe mit dem Mann im Mond, mit Russen, Amerikanern, Kosmonauten wie Juri, Leonid, Mike, Blackjack, freut er sich hämisch, registriert er meine Aufmerksamkeit, ist er ein Weidenstumpf im Moor?
Da brüllt das Tierreich, der gesamte Dschungel und ein einzelgängerisches Wesen in nördlich gelegenem Breitengrad, den gesamten Radius bis rüber nach Herrnstein hin erschütternd, gibt Antwort. Heerscharen fressen meine Materie, beenden Not und Schande. Was denn, all das hast du mir angetan, Vaterunser, als Mitgift drauf gepackt, deine Tochter so gebaut, aus nacktem Fleisch, verführbar, der Unschuld beraubt, erlöse sie also von Übeln wie Begierde, Triebe, Lust und Liebe, sonst setzt es Hiebe. Allerhöchster Patron! Laß mich nicht sitzen. Erbarme dich, König Barbar Rossa ... Keine Scheu vor Banalitäten, ruft er ihr zu, nur frisch drauf zu.
Humbug; die Kreatur, von welcher hier die Rede ist, wählt andere Worte, benutzt die gängigen Ausdrücke, wie die Armee sie ihr beibrachte in Etappen, als man über uns herzog, drüber wegging, Wörter, die dir im Nachhinein schwer über die Lippen kommen; jeder kennt die dumpfe Litanei, welche gefragt ist. Stehende Stille.
Da sehe ich im Spiegel über mir, mich uns neugierig betrachten. Ein Standbild. Berufskollege Obenauf, im Part des Bezwingers, verharrt ohne Bewegung auf seinem Lager, dem Weibe, der Unterlage, welches im vorliegenden Falle Ima Duschenka ist, sollte es einer noch nicht mitgekriegt haben. Er macht mich zum Kälbchen, seiner Mondkuh mit zwei Zitzen, nennt mich Galatea, läßt die ihm ausgelieferte über sich schweben und es passieren. Das Finale: Sperren lösen sich, Riegel springen aus den Schlössern, Türen brechen aus den Angeln, Barrieren schlittern übern Damm, Dämme schlucken die Wellen, das Land schwelgt in der Flut. Und nichts ist aufzuhalten mehr, beim allerbesten Willen. Ich wollte, daß es Spiel bleibt, bis hierher und nicht weiter. Wo kämen wir da hin, wenn jeder mir-nichts-dir-nichts mit Planeten anbändelte, sich einließe auf grenzüberschreitenden Verkehr; die Zivilisation ginge baden; obwohl, ein gesunder Menschenverstand kauft dir die Story sowieso nicht ab; kannst dein Erlebnis der Versammlung ruhig auftischen, ohne fürchten zu müssen, ins Spritzenhaus zu kommen.
Ein Märchen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es war einmal.
Der Mond heißt August und feuchter Glanz liegt zerflossen im Tal. Sieh nur, Frischlinge! Neugeborene! Flimmersterne aus Weißgold hängen zwinkernd im unendlichen Rund: Nette Aufmerksamkeit. Oh, ich habe sie erzeugt bei diesem Akt. Und was ich sonst noch wahrnehme an Einzelheiten: Der Weidenstumpf ist wegradiert.
Die Wesen meiner Gattung bewegen sich wie von Schalttafeln gelenkt. Ameisen haben eine Karawane gebildet, schleppen Zuckerkrümel vom Kuchenrest in das von ihren Spezialisten ausgeklügelte Depot.
Die naschhafte Braut entkernt paar von den unlängst ihr dargebrachten Gaben, Datteln wollte ich sagen, eine Feige kommt ihr in den Sinn, aber es sind nun mal ganz ordinäre Bauernpflaumen – genau das Richtige in dem Moment; hab Dank, edler Spender.
Und Fabadam? Mein Ein-und-Alles? Der sitzt am Schreibtisch, träumt, denkt sich Geschichten aus, die ich erleben werde oder die anderweitig Verwendung finden, bei hungrigen Ausbrechern aus der Gesellschaftsordnung; das ist seine Aufgabe, Genossen – und nicht an der Ecke Schmiere stehen, wie gewisse andere Kollegen Mitspieler. Ein ernst zu nehmender Mensch, mit Verlaub und Liebling der Musen.
Und darum jagen ihn die Neidhammel: weil er in den Geschichtsbüchern als Sohn unseres Volkes erwähnt werden wird. Und kein Sterbenswörtchen von Leutnant Stechapfel, Oberst Rülpser, Major Spillerich oder gar Spitzel Glubschke, höchstens ganz am Rande.
Ja, ich hör schon auf mit diesem Zeitvertreib und störe dich nicht weiter, denn voll beladene Schiffe laufen ein im Hafen. Bin eingeteilt zur Löschung, hab Sorge zu tragen, daß der Fisch nicht fault, jeder seine ihm zustehende Portion Saubohnen kriegt, denn Schieber und Spekulanten sind auch nicht faul, bringen ihr Schäfchen ins Trockne. In der volkseigenen Gärtnerei, der LPG ›Grünschwemme‹ aber verkümmern die Tomatenpflanzen; kein einzelner fühlt sich so recht verantwortlich für ihr Gedeihen oder Verderben ...
Ich rappel in die Höh. Zwei weiße Lilien blühen am Weg, werden linkshändig gepflückt von der Liebhaberin, weil ihre Rechte nicht frei ist, etwas umschließt, ein Liebespfand, Beweisstück für das unerhörte Abenteuer, rausgerissen in Ekstase, das Herzstück aus Mondgestein – wenn man sich auskennt mit solcherart Schätzen.
Bald sind die Mitspieler eingeholt. Ima, die Kullerdistel, braucht paar Krumen Sand und wird auf steinigem Boden leben, wenn nötig. Sie klammert sich nicht fest, besorgt die wichtigsten Lebenselixiere mit den Augen und Komplizen: Nase, Ohren, Zunge, machen gemeinsame Sache mit uns, holen ran, was zu kriegen ist. Rund ist die Welt ... doch hin nach Philadelphia führt keine Furt.
Warum ruft denn der Kuckuck in der Nacht; phantastische Dinge geschehen mitunter, denkst du: in Wahrheit sind sie Wirklichkeit.
Vertraue mir, Amigo: Was auswärts stattfindet, ist uns generell nicht vorenthalten; eine Frage der Konzentration: Der Sonnenaufgang auf der Rückseite des Spiegels, ich habe ihn erlebt, den Karneval in Rio, Orpheus Auferstehung, den Festumzug im Triumphwagen, einen Flamenco in der Arena der Gladiatoren. Und hält man die Hand vors Licht, wuchern Lianen im Zeltdach. Der Urwald ist in unserm Besitz, ein Dschungel mein Bett, der Pazifik dieser See dort unten bei Kutz.
Ima ist gerne, wo sie sich gerade aufhält, will hier Verwandte ausfindig machen, aus der vertrauten Perspektive suchen nach Anhaltspunkt, der Herkunft und Fabadams Identität.
In der Kooperative ›Honigwabe‹ machen wir uns nützlich. Herber Duft, schwelende Feuerchen: Kartoffelkraut verbrennt. Das Begrüßungszeremoniel vom Vorstand ist angesagt, Redenschwingen, Mitglieder der Genossenschaft ›Zukunftsfroh‹ geben ihren Senf dazu, Selbstgebrannter auf Futterrübenbasis wird verkostet ...
Prost Vorsitzender! Wie steht die Ernte? Der Mai war zu trocken, am Siebenschläfer hat es geschüttet, Unkraut schießt in die Saat. Trotzdem werden wir wieder satt. Nehmen es, wie’s kommt. Kürzertreten in punkto Neuanschaffung ist angesagt, sich größere Sprünge leisten, ist nicht drin. Sein jüngerer, auf Optimismus-Kurs getrimmter Stellvertreter, blockt ab: Die Schweinezucht reißt alles raus. Karnickel stehen hoch im Kurs. Der Weltmarkt bevorzugt weißes Fleisch mit steigender Tendenz, besonders die Franzosen. Bringt vierzig Mark das Stück, das Fell nicht mitgerechnet. Nun purzeln sie nur so. Sollten wir das Plansoll schaffen, übererfüllen, ohne die Bilanz zu frisieren, Schorsch – das ist der Buchhalter, unüberführbares Schlitzohr alter Schule – können wir alle unserm Herrn auf Knien danken; er räusperte sich: vielmehr den Mitgliedern der Bezirksleitung und des Politbüros, besonders unserm vorausschauenden Ersten Sekretär. So sieht das aus, Leute.
Den Durchbruch vom Teufelsmoor zur Ucker rüber nehmen wir in Angriff, auch die Verbindung zwischen Feenteich und Kiesgrube wird vertieft: die Entenfarm wird danach garantiert ein Renner. Kein Grund zum Schwarzsehen also. Sarkastisch der Brigadier der kombinierten Staffel, vielseitiger Typ, Krisenbewältiger, Schmelzstimme, bei Konzentration leichter Silberblick, das Rattenfängerkostüm, seine ausgefranste Tarnjacke über die Vogelscheuche ins Saatgut werfend, imponierende Narbe am Kinn, von einer Schlägerei mit abgeschlagenem Flaschenhals zurückgeblieben, mannsbewußt gestikulierend, mein spezieller Freund und Helfer, dieser Filou: Zur Not da fressen wir die Erbsen grün; was soll’s. Genug gefaulenzt, Mädels. Jungs, haut rin! Der Weizen hängt schon schwer kopfüber, schmeißt die Maschinen an.
Und du, liebe Jugendfreundin, begibst dich in die gute Stube, habe paar Takte mit dir zu reden. Hör zu, flüstert er hinter der Tür. Du leistest dir Dinger, wo ein Normalverbraucher passen muß. Der Ideologe hat nur den Kopf geschüttelt, eine Nervenentzündung gekriegt von deinem ständigen Aus-der-Reihe-Tanzen. Dazu das slawische Geheul bei Mondschein. Bei aller Liebe zu den Bruderländern, wir sind nicht in der Taiga, sondern auf märkischem Sand. Seit du hier aufgetaucht bist, ist es deutschdemokratischer Boden mit Verlaub. Hab den Scharfmacher gerade noch abhalten können, den Vorfall in die Kaderakte einzutragen, für’n halbes Jungschwein, illegal geschlachtet, die andre Hälfte schluckt die Verwaltung. Dir hab ich was von Herz, Leber und Milz aufgehoben, die edleren Teile sozusagen. Und paar knubbelige Pfoten. Soweit ist es gekommen. Das hätte ein Disziplinarverfahren nach sich gezogen, die Konfliktkommission wäre zusammengetreten. Was glaubst du, wo wir hier sind, auf freier Wildbahn oder im Kino? Wenn du nicht spurst, landest du unweigerlich Steinbruch. Solltest langsam erwachsen werden. Nun weine mal nicht gleich.‹
Und das sagt er, obwohl ich nicht im Traum dran dächte, auch nur eine Träne zu vergießen wegen so einem Scheiß. – ›Leg dich 'ne Weile flach. Der Frauenruheraum ist frisch gekalkt nach der Orgie am 8. März und der Walpurgisnacht vom 30. April zum 1. Mai. Keiner stört, sind alle bei Ella, Schlachtfest mit der zweiten Hälfte.
Naja. Wenn du nichts dagegen hast, tröste ich dich vorm Einschlafen.‹ – ›Worüber denn?‹ – ›War wohl ‘ne Schnapsidee.‹ – Er steht unschlüssig im Türrahmen, scharrt mit den Hufen, tastet nach seinen Bartstoppeln, lächelt verlegen. Ima denkt: Dieses sonst selbstsichere Mannsbild mit dem weichen Kern, wie der sich einsetzt am Subbotnik und Lebensfreude versprüht, Lust wie Laune überträgt:
Und mit paar Handgriffen baut sie eine Art Altar ins Halbdunkel, öffnet zwei Bierflaschen mit Knallverschuss, reicht ihm eine zum Anstoßen, sie lachen, schweigen, trinken glucksend, wischen sich den Schaum vom Mund. Er schiebt unauffällig den Riegel vor. Ima zündet noch einen rumstehenden Kerzenstummel an und präsentiert ihm ohne weiteres Federlesen ihren wohlgeformten Hintern, sich am Fensterkreuz dabei festhaltend, mit der offenen Schranktür im Hintergrund, wo ein stockfleckiger, schon halbblinder Spiegel die Szene wie ein sich rhythmisch bewegendes, impressionistisches Gemälde von Degas, in das Gauguin seine sinnlich-satten Farbtupfer setzte und Vincent das Verschwimmen der Grenzen von Gegenständen einbrachte, wiedergibt – mit dem wohligen Gefühl im Bauch, ein gutes Werk zu tun; wobei sie es so deichselt, daß sie nicht zu kurz kommt bei dem Akt der Nächstenliebe.
Und wer kuckt da stur geradeaus und unverschämt direkt, mit Blauschatten auf den Lidern und rotgeäderten Augäpfeln, durch die offen stehende Luke im Schilfdach? Ihr abgehobener Freund mit der in neuartiger Ekstase entstandenen Verunstaltung, der klaffenden Wunde, dem Hohlraum in der Backe.
Ich öffne die Hand, worin sich das fehlende Stück befindet, werfe es in die Nacht hinaus, ihm entgegen, daß es funkelnd aufblitzt und mein irdischer Besteiger einen verfrühten Abflug erlebt. Ima tut, als hätte sie es nicht bemerkt, bringt ihn nochmal auf Vordermann, daß der drobige Konkurrent quittegelb anläuft vor Neid.
Ich zwinkere abwechselnd mit beiden Augen, gebe ihm zu verstehen, daß die Szene unter ihm ein reines Traumgeschehen wäre, gleichzeitig ein Freundschaftsdienst für den auserwählten Kandidaten der Genossenschaft und hätte in etwa den Stellenwert wie nach dem Essen und Trinken das... mir fiel die Frage von Martin Luther nach einem Festmahl an seine Gäste ein: Warum rülpset und furzet ihr nicht? Hat es euch nicht geschmecket? - Aber solche Deftigkeiten könnten missverstanden werden von Ludewig, obwohl er selbst auch kein Blatt nicht vor den Mund genommen hatte bei unserm sagenhaften Außersichsein: Ich bin für den Kollegen eine Prämie, verstehst du, das Dessert, die Götterspeise sozusagen, der Höhepunkt vom Dinner, kapiert, das Sahnehäubchen. Aber zu dir, Mondgesicht, werde ich immer aufschauen und mir die Lippen lecken beim Erinnern an unsere... zum Himmel schreiende Vereinigung.
Ludewig-Augustus hat sich danach gefangen, obwohl ihm bei meiner Schilderung sichtbar das Wasser im Mund zusammen gelaufen war. Aber wir sind ja nicht aus der Welt und werden uns immer mal wieder wo übern Weg laufen.
Sein Gesicht verbleicht allmählich, trotzdem hat er nichts eingebüßt von seiner Anziehungskraft. Ich sage: ›Zieh weiter deine Bahn, geliebter Mond.‹ Und wende mich mit Lust und Laune meinem irdischen Landsmann zu.


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