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Aktenkundig

(1977)

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Hauptabteilung XX/OG                                      Berlin, den 07.01.1977
                                                                    Ke/Ma
B e r i c h t
 
über weitere Gespräche mit der IM-Kandidatin "Tanja"
 
Vereinbarungsgemäß meldete sich am 04.01.1977 die IM-Kandidatin und bat um ein Gespräch für den 05.01.1977. Die Zusammenkunft fand in der Zeit von 18.00 bis 21.00 Uhr unter Wahrung der Konspiration statt.

Sie informierte, daß sie im Auftrag der Abteilung Kultur beim ZK der SED am 06.01.1977 um 14.00 Uhr eine Aussprache mit der Schauspielerin Eva-Maria Hagen durchführen soll. Ziel der Aussprache sei, den weiteren Einsatz der Hagen bei Engagements zu steuern und ihr bei der Suche von Arbeitsmöglichkeiten staatliche Unterstützung zu gewähren. Sie erklärte sich bereit, über das Ergebnis der Aussprache am 06.01.1977 sofort den Mitarbeiter in Kenntnis zu setzen. Dazu wurde festgelegt, daß am 06.01.1977 um 16.00 Uhr eine erneute Zusammenkunft stattfindet.

Im weiteren Gespräch informierte sie, daß sie zur Zeit zu allen Mitunterzeichnern der Protestresolution gegen die Maßnahmen der DDR zu Biermann und allen Sympathisanten Dossiers angefertigt hat und anfertigt.
Auf der Grundlage der Dossiers soll dann analysiert werden, welche Personen wie mit dieser Sache zu tun haben und welche weiteren notwendigen staatlichen und parteierzieherischen Maßnahmen zu wem durchgeführt werden müssen. Sie erklärte sich auch hierzu bereit, dem MfS alle dazu erarbeiteten Erkenntnisse zugänglich zu machen bzw. den Mitarbeiter umfassend mündlich zu informieren.

In diesem Zusammenhang ist von operativem Interesse, daß in Folgerung dieser Maßnahme zu sämtlichen Künstlern und Kulturschaffenden auf dem Gebiet des Theaterwesens Dossiers gefertigt werden, um ständige Hilfsmittel zur Arbeit mit diesen zu haben. Auch hierzu wird sie Möglichkeiten schaffen, um das MfS zu informieren.

Im weiteren Gespräch informierte sie, daß sie an der "Volksbühne" eine Untersuchung der Leitungstätigkeit und der Arbeitsweise der Künstler in Erfüllung der Aufgaben des IX. Parteitages der SED durchgeführt hat und dabei zu Ergebnissen gekommen ist, die unbedingt verändert werden müssen. Sie wird dem Mitarbeiter das offizielle Protokoll ihres Berichtes bei der nächsten Zusammenkunft übergeben.

Im Gespräch berichtete sie weiter, daß sie nach dem 16.01.77 mit dem Intendanten des Deutschen Theaters, Genossen WOLFRAM, sich die Proben zu dem Schauspiel "Michael Kohlhaas" ansehen will, als Regisseur fungiert hierbei der Adolf DRESEN. Nach bisher der Kandidatin vorliegenden Hinweisen gibt es in diesem Schauspiel einige textliche Probleme. So verwendet DRESEN zwar Originaltexte, wo es keine Abstriche gibt, aber der Besucher wird nach Meinung der Quelle durch die Texte an bestimmte Vorkommnisse in der DDR erinnert und damit konfrontiert. Als Beispiel führte sie an, daß der "Kohlhaas" durch den damaligen Landesfürsten des Landes verwiesen wurde und seine Freunde durch Proteste, Resolutionen und Unterschriftensammlungen erreichten, daß der Landesfürst seine Ausweisung zurücknehmen mußte. Nach Meinung der Quelle ist, obwohl mit historischem Text, ein Bezug zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft des Biermann gegeben und könnte von dem Publikum auch so aufgefaßt werden.

Die IM-Kandidatin wurde gebeten, bis zur nächsten Zusammenkunft dazu eine konkrete Einschätzung zu erarbeiten.
Danach übergab sie dem Mitarbeiter das Manuskript zu dem Schauspiel Volker Braune "Che Guevara" oder "Der Sonnenstaat". Es wurde vereinbart, daß ihr dieses Material am 10.01.1977 zurückgegeben wird. Zum Manuskript erklärte sie nochmals, daß die darin vorhandenen Ecken und Kanten bei der Inszenierung abgerundet und beseitigt werden, aber gesichert werden muß, daß dieses Material nicht in Buchform herauskommt.
Danach informierte sie über persönliche Probleme. (.........) 
Sie ist zur Zeit telefonisch unter der Rufnummer 5123 501 zu erreichen.
Die nächste Zusammenkunft wurde für den 6.1.77 um 16.00 Uhr festgelegt.
 
Maßnahmen:
1. Information zu Vorhaben mit der Eva-Maria Hagen erarbeiten.
2. Kopieren des Manuskriptes von Volker Braun zur operativen Auswertung an BV Berlin, Abt. XX
3. Information betreffs  .......  erarbeiten, operative Auswertung im Vorgang ..........  und   ........

BV Berlin, Abt. XX.
 
Keller
Oltn. 
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Hauptabteilung XX/OG                           Berlin, den 10.01.1977
                                                           KE/Ma
 
V e r m e r k
 
Am 06.01.1977 fand in der Zeit von 16.00 bis 18.30 Uhr eine erneute Zusammenkunft mit der IM-Kandidatin "Tanja" statt.
Sie informierte dabei umfassend über die stattgefundene Aussprache mit der Eva-Maria Hagen in der Zeit von 14.00 - 14.30 Uhr im MfK.
Es wurde weiter abgesprochen, daß die nächste Zusammenkunft in der Woche vom 17.01. bis 22.01.77 stattfindet. Die IM-Kandidatin wird sich beim Mitarbeiter telefonisch melden.
 
Maßnahmen:
Zum Bericht der Kandidatin ist eine Information zu erarbeiten.
Keller
Oltn.

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Hauptabteilung XX/OG Berlin, 7. Jan. 1977

Bericht zur Aussprache mit Eva-Maria HAGEN am 6.1.1977 im MfK

Durch die IM-Kandidatin "Tanja" wurde beim Treff am 6.1.1977 zur Aussprache

mit der Eva-Maria Hagen beim Ministerium für Kultur nachfolgendes berichtet:

Am 29.12.1976 wurde ich im Auftrag der Genossin Millis, Mitarbeiterin der Abteilung Kultur des ZK der SED beauftragt, kurzfristig eine Aussprache mit der Schauspielerin Eva-Maria Hagen und dem Schauspieler ..... zu führen. Das Ziel der Aussprache sollte sein, beiden Personen vertragliche Angebote für ihre Tätigkeit an Theatern in der DDR zu vermitteln und sie in der Suche von weiteren Arbeitsmöglichkeiten zu unterstützen.
Aus diesem Grund schickte ich am 30.12.1976 an beide genannten Personen ein Telegramm, worin sie gebeten wurden, zu einer Aussprache im MfK betreffs ihrer weiteren Entwicklung zu erscheinen. Bei der Hagen wurde von mir als Ausprachetermin der 6.1.1977, 14.00 Uhr vorgeschlagen. Nachdem die Hagen diesen Termin telefonisch absagte, meldete sie sich am 5.1.1977 gegen 13.00 Uhr erneut telefonisch bei mir und teilte mit, daß sie bereit sei, am 6.1.1977, 14.00 Uhr im MfK zu erscheinen.
In Vorbereitung dieses Gespräches mit der Hagen konsultierte ich mich nochmals mit Genossen Rackwitz und mit Genossen Herbert Werner (persönlicher Referent des Ministers für Kultur). Durch Genossen Werner wurde mir nochmals bestätigt, daß der Eva-Maria Hagen wegen Verletzung der Statuten beim Fernsehen der DDR gekündigt wurde und daß durch sie betreffs der Kündigung eine Eingabe an Genossen Erich Honecker gesendet wurde. Auf diese Eingabe liegt bisher kein Bescheid vor, die Maßnahmen der staatlichen Leitung beim Fernsehen der DDR sind nach wie vor gültig und es gibt keine Hinweise, daß die Kündigung rückgängig gemacht wurde. Der Hagen wurden nur das Angebot unterbreitet, als Synchronsprecherin bei Notwendigkeit im Auftrag des Fernsehens der DDR zu arbeiten.
Vereinbarungsgemäß erschien die Eva-Maria Hagen am 6.1.1977 um 14.00 Uhr bei mir und ich führte mit ihr ein Gespräch von ca. einer halben Stunde. Die Eva-Maria Hagen erschien allein, ohne Begleitung ihres derzeitigen Partners, Matti Geschonneck (Sohn von Erwin G.), lebt jetzt bei Eva-Maria Hagen nach ...................., welcher mir durch Genossen Herbert Werner als evtl. Begleitperson angekündigt wurde.
Frau Hagen machte einen leidenden, deprimierten Eindruck und erklärte mir auf mein Befragen, daß sie nach den letzten Ereignissen an nervösen Herzstörungen leide, jetzt aber nach ihrem Urlaub im Osterzgebirge sich erholt habe und aus diesem Grund diesen Termin für die Aussprache wahrgenommen hat. Nach dieser Einleitung befragte ich sie zu ihren eigenen Vorstellungen in ihrer weiteren künstlerischen Entwicklung und erklärte mir, daß darauf aufbauend das Ziel der Aussprache sein, mit ihr weitere Schritte für ihre weitere berufliche Tätigkeit zu beraten.
Sie erklärte mir, daß sie zu ihrer beruflichen Perspektive in Fragen des Theaters keine konkreten Vorstellungen habe, ihr ging es jetzt vor allem darum, daß die ausgesprochene Kündigung beim Fernsehen der DDR, die ungerechtfertigt sei, zurückgenommen werde.
In diesem Zusammenhang erklärte sie mir, daß ihr bereits 1965, da sie damals mit Wolf Biermann zusammenlebte, beim Fernsehen der DDR gekündigt wurde und erst nach ihrer Eingabe an Genossen Walter Ulbricht dieser "voreilige Schritt" zurückgenommen wurde. In diesem Zusammenhang, erklärte sie mir, daß sie diese Maßnahme als "Sippenhaft" empfinde und dies auch in ihrem Brief vom 10.12.1976 an den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, formuliert habe. Auf diesen Brief habe sie bisher noch keine Antwort erhalten. Ihr wurde allerdings von Genossen Engelhardt (Abteilungsleiter beim Fernsehen der DDR) telefonisch das Angebot unterbreitet, Synchronarbeiten für das Fernsehen der DDR durchzuführen. Da der Engelhardt sehr höflich und freundlich gewesen sei, vermutet sie, daß dies als erste Antwort auf ihren Brief an Erich Honecker zu sehen ist. Dieses Angebot habe sie aber sofort abgelehnt, da sie damit die Kündigung anerkennen würde. Nach ihrer Meinung könne man zwar so eine Tätigkeit ausüben, aber es sei nicht die eigentliche Tätigkeit und es sei nicht das, was sie erwarte. Aus diesem Grund hat sie auch eine Eingabe an die Konfliktkommission beim Fernsehen der DDR betreffs der ausgesprochenen Kündigung gegeben, die aber nach § 28 der Statuten des Fernsehens der DDR von der Konfliktkommission abgelehnt wurde. Deshalb wird sie sich jetzt betreffs der "ungerechtfertigten Maßnahmen" mit einer Eingabe an das Arbeitsgericht wenden.
Auf mein Befragen erklärte sie, daß sie mit dieser Maßnahme hofft, wieder beim Fernsehen der DDR eingestellt zu werden und aus diesem Grund hat sie nicht die Absicht, ihren Beruf zu wechseln und an einem Theater - wörtlich sagte sie, was weiß ich wo - ein festes Engagement aufzunehmen. Dies käme für sie nur in Frage, wenn man ihr Angebote für Berliner Theater geben würde. Da diese Theater aber mit Frauen in ihrem Alter überfüllt seien, sieht sie selbst ein, daß in Berlin kein Engagement zu erhalten sei.
Im weiteren Gespräch erzählte sie mir nochmals Beispiele von "gegen sie durchgeführte Repressalien" von staatlichen Organen und erklärte mir, daß alles genau wie 1965 wieder sei. So führte sie an, daß durch die KGD (Konzert- und Gastspieldirektion) Berlin ihre Liederabende unter fadenscheinigen Gründen verboten wurden, obwohl sie sich entsprechend der Verträge mit der KGD ihr Geld für die abgesagten Veranstaltungen abholen konnte. Weiterhin erklärte sie mir die unwürdige Behandlung durch den Intendanten des Kleist-Theaters Frankfurt/O., welcher 2 Minuten vor Auftritt, wo sie voll geschminkt war mitteilte, daß sie mit niemanden sprechen dürfe. Wie sie mir erklärte, begreift sie dessen Anliegen und findet es aber unmöglich, ihr sowas kurz vor einem Auftritt zu sagen und dann noch in dieser Form. Aber sie hätte das ja alles bereits 1965 mitgemacht. Sie erklärte mir weiter, daß sie aus dem Klub der Gewerkschaft Kunst förmlich herausgeschmissen worden sei und daß verschiedene Institutionen auf einmal ein Engagement mit ihr ablehnen würden.
Auf meine Frage, ob sie finanzielle Einbußen gehabt habe, erklärte sie mir, daß dies für sie überhaupt kein Problem sei, da sie, wie sie wörtlich sagte "genug Freunde haben würde, die sie schon unterstützen".
Im weiteren Gespräch gab sie mir von sich aus ihre Eingabe an Genossen Erich Honecker zum Lesen. In diesem Brief geht sie von ihrer Kündigung aus, macht Bezüge zu 1965, verwendet darin mehrmals das Wort "Sippenhaft" und stellt, wie auch an anderer Stelle, wo es um die Behandlung der Unterzeichner der sogen. Protestresolution geht, indirekte Bezüge zum Faschismus her. Mir ist weiter erinnerlich, daß sie in diesem Brief als rein persönliches Motiv vermerkt und am Schluß des Briefes betont, daß der Platz des "Kommunisten Biermann" in der DDR sei.
Sie betonte zu diesem Brief, daß es ihre eigene Haltung sei und sie deshalb auch so offen an Genossen Honecker geschrieben habe. Wie mir weiter erinnerlich ist, geht sie im Brief weiter auf die verschiedenen Arten der "Behandlung" der Unterzeichner ein, die "hinter verschlossenen Polstertüren der Kulturinstitute" bearbeitet, erst sanft, dann immer massiver werden. Nachdem ich ihr den Brief wieder zurückgegeben hatte, fragte sie mich, ob ich auch ihre Stellung zu den Maßnahmen und der "Behandlung der Unterzeichner" gelesen habe und erklärte mir, daß sie dies konkret von Angelika Domröse, Manfred Krug und anderen Personen vom Fernsehen der DDR kenne.
Im weiteren Gespräch brachte sie ihre Besorgnis über die Ausreise ihrer Tochter Nina Hagen in die BRD zum Ausdruck, wofür sie aber als Mutter volles Verständnis habe. Dies begründete sie damit, daß ihr Kind an ihrem Beispiel erlebt hat, wie sie immer an ihrer Arbeit gehindert worden ist und das ihrem Kind nie wünschen würde. Aus diesem Grund war sie auch mit dem Vorhaben des Verzuges ihrer "Nina" in die BRD einverstanden, zumal die Nina ja nicht zu Fremden gefahren sei, sondern zu ihrem Freund, Vater und verständnisvollem Partner ist. Sie selbst betonte aber im gleichen Zusammenhang, daß sie in der DDR bleiben wolle, ihr Aufenthalt hier zwar von dem "Berufsverbot" belastet sei, aber sie hofft auch, dies über die Bühne zu bekommen. Sie sprach im weiteren Gespräch davon, daß sie mich bittet, daß ihre Kündigung rückgängig gemacht wird und ich mich an entsprechenden Stellen dafür einsetzen soll. Ich erklärte ihr, daß dies nicht in mein Kompetenzbereich fällt, aber bereit sei, andere konkrete Wünsche, die im Bereich des Theaters liegen, zu prüfen. Daraufhin brachte sie den Wunsch zum Ausdruck, ob ihr nicht wieder ihre Liederabende genehmigt werden könnten und sie würde außerdem gern wieder im Theaterstück "Prof. Unrat" mit einem anderen Regisseur an einem beliebigen Theater spielen.
Meinen daraufhin vorgebrachten Vorschlag, daß sie eine Annonce für Engagements im Nachrichtenblatt beim Zentralen Bühnennachweis veröffentlichen zu lassen, lehnte sie ab, da sie ja genug Freunde hat. Sie wisse aber aus Erfahrungen, daß in der nächsten Zeit kein Intendant es wagen wird, sie, die Eva-Maria Hagen, zu verpflichten, da dieser mit Sanktionen rechnen müsse. Auch hierbei sprach sie wieder von einem "Berufsverbot". Ich erklärte ihr dazu, daß wir uns bei auftretenden Problemen im Theaterbereich für sie einsetzen werden und sie bitten würden, sich an uns zu wenden. Dieses Angebot nahm die Hagen an. Danach verabschiedete sie sich.
Das Gespräch mit der Eva-Maria Hagen möchte ich wie folgt einschätzen:
Das Gespräch mit ihr verlief ruhig. Die zum Anfang vorherrschende gedrückte und deprimierte Haltung der Hagen veränderte sich im Verlaufe des Gespräches dahin, daß sie, ohne daß ich Fragen stellen mußte, ihre Lebensgeschichte erzählte, wobei ich den Eindruck hatte, daß sie mich testen wollte, um festzustellen, ob ich als Partner zur Zurücknahme ihrer Kündigung beim Fernsehen der DDR geeignet erscheine. Sie war sachlich und setzte bei mir prinzipielle Meinungsverschiedenheiten zu ihrer Auffassung betreffs der Maßnahmen gegen Biermann und ihrer Unterschriftsleistung als gegeben voraus. Sie betonte mehrmals, daß sie ein wenig politischer Mensch sei, aber dankbar war, bei mir einen verständnisvollen Partner, der sie nicht so wie beim Fernsehen behandelt, gefunden zu haben.
Dieser Bericht ist wegen Quellengefährdung offiziell nicht auswertbar.

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Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin - Abteilung XVIII

Über eine zuverlässige Quelle in der Sparkasse der Stadt Berlin wurde bekannt: Die Eva-Maria Hagen hat am 1. 3. 77 in der Zweigstelle Frankfurter Allee / Magdalenenstr. das gesamte auf dem Sparbuch 6692-65-602727 stehende Guthaben abgehoben. Davon wurden bar 65.000.- Mark ausgezahlt. 15.000 wurden auf das Girokonto 6692-47-61164 überwiesen. Gleichzeitig wurde die Verfügungsvollmacht für dieses Konto erweitert. Sie hat die Eintragung eines 2. Verfügungsberechtigten veranlaßt. Es handelt sich dabei um Matti Geschonneck - Fissel

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ANHÄNGE


Borkowski, Dieter "Meine großen Interviews" am 5. 10. 1995
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Diskussion: Aus unserem Fundus der Vortragsrezensionen:
Borkowski, Dieter "Meine großen Interviews" am 5. 10. 1995

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Roy Popiolek (Admin) Montag, den 25. Juni, 2001 - 13:06
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Vortrag von Dieter Borkowski
in der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus
"Meine großen Interviews" – am 5. 10. 1995

Es war die wahrlich historische Flucht eines einstigen vermeintlichen Siegers der Geschichte. Verschlungene Wege hatten da einen gewissen Erich Honecker, gewesener Verweser der DDR (im Volksmund: Deutsche Dienststelle Rußlands) vom Gefängnis Rummelsburg aus über die Hoffnungstaler Anstalten Lobetal zum Militärhospital Beelitz bis zum Moskauer General-Mandryka-Prominenten-Krankenhaus Moskau und schließlich in die Moskauer chilenische Botschaft geführt. "Lieber Erich," schrieb ihm damals ein früherer Jugendfreund in einem Offenen Brief, "Es wird Zeit für Dich, nach Berlin zurückzukommen. Freiwillig! Warte nicht, bis Dich Reformer Jelzin und die neuen Demokraten im Kreml ausliefern. Du botest mir einst das freundschaftliche 'Du' an, ich vertraute Dir einige Jahre, bis ich merkte, daß Du keine Ideale hattest, sondern nur brutale Macht ausüben wolltest... Du schenktest mir das Buch "Straße zur Freiheit" mit der Widmung, die Du für mich hineinschriebst: 'Vorwärts immer, Rückwärts nimmer!' ... [Als ich nicht mehr mitmachte,] schicktest Du mich in die Stasi-Kellerzellen nach Hohenschönhausen, zwei Jahre Einzelhaft, später noch sieben Jahre Zuchthaus hinzu, ich saß in Brandenburg ein ... Als Dein Zuchthaus-Staat zusammenbrach..., bist Du nach Moskau getürmt ... Verteidige Dich hier, bevor man Dich aus der Luxusherberge holt, und Dich in der 'Grünen Minna' an Deutschland ausliefert ... Du, Erich, warst der Hauptverantwortliche. Zeige einen kleinen Rest an Anstand und Einsicht."
Der hier mit seinem ehemaligen Freund und Gönner abrechnete, heißt Dieter Borkowski.
Ihn zu lesen oder gar - wie eben zum Beispiel in der kleinen Bibliothek am Berliner Hausvogteiplatz - ihn zu hören, ist rhetorisch und inhaltlich ein Genuß. Sein unverwechselbarer Stil meistert nicht nur sehr lange Sätze (lange Nebensätze eingeschlossen) ohne Formulierungsschwierigkeiten. Jeder dieser Sätze ist vor allem ein Feuerwerk aus profundem zeitgeschichtlichem Detailwissen, gepaart mit präzisesten eigenen Erinnerungen an Personen, Ereignisse, Hintergründe aus sechzig Jahren deutscher Geschichte. Dies alles vorgetragen mit Ironie, Sarkasmus und parodistischer Begabung. Borkowskis hintergründiger Humor bringt es mit sich, daß seine Zuhörer immer wieder lachen können, obwohl das Thema eigentlich überhaupt nicht dazu geeignet ist. Borkowski selbst dürfte auch kaum Anlaß zu dieser eleganten, leichten Florettdistanz zum politischen Gegner haben, sollte man meinen.
Schon aufgrund seiner Lebenserfahrungen ("Schrecklich ist es, wenn die Senilen anfangen, von ihrer Jugend zu reden", lautete hier sein Einstieg): Geboren am 1.11.1928 in Berlin, nahm er als begeisterter Hitler-Junge und Flakhelfer 1945 noch teil an der Verteidigung Berlins. Mitbeteiligt an der Gründung der FDJ 1946, zählten neben Honecker vor allem die damaligen Jugendfunktionäre Hermann Axen und Paul Verner zu seinem engsten persönlichen Bekanntenkreis. Doch bereits während seines Germanistik- und Soziologie-Studiums (bei Alfred Kantorowicz und Ernst Niekisch) an der Ost-Berliner Humboldt-Universität ereilte ihn zum ersten Male das, was man im Parteijargon drastisch "ideologische Bauchschmerzen" nannte.
Auf dem Leipziger Karl-Marx-Platz erlebte er am 3O.5.1952, wie Honecker in einer Ansprache u.a. von der "faschistischen Adenauer-Clique" sprach. Von diesem Tage an datiert er seine ersten Zweifel an der SED-Ideologie, denn daß der Katholik Adenauer, der im Dritten Reich Repressalien ausgesetzt gewesen war, alles mögliche, aber doch wohl kein Faschist sein könne, dies war dem jungen FDJ- und SED-Funktionär Borkowski denn doch wohl zu offensichtlich.
Der auch organisatorische Bruch kam bereits im nächsten Jahr. Schon kurz nach dem 17.Juni 1953 aus der SED ausgeschlossen, kam Borkowski bald ins Visier der Stasi. "B. spielt den 'wilden Mann'", berichtete am 17.12.1958 der IM "Martin" alias Hermann Kant den Leutnants Dreier und Seiß von der HA V/6, "[er] redet unheimlich viel und schnell und hat zu allen etwas zu sagen ('große Fresse') erklärt immer, daß ihn Gen. W. Ulbricht aus der Partei herausgeworfen habe." Außerdem benutze er "ständig negative Bemerkungen wie 'VEB Terror', 'VEB Mielke', 'Spitzbart'" u.ä.
Seine Arbeit als Journalist und politischer Publizist in Ost-Berlin brachte ihn in den Besitz von Chruschtschows berühmter Geheimrede vor dem XX. KPdSU-Parteitag 1956, in welcher der sowjetische Parteichef mit Stalin abgerechnet hatte. Weil er diese Rede vervielfältigt und an zwanzig ihm bekannte Adressen in der DDR verschickt hatte, ver-haftete man ihn am 9.6.196O, verurteilte man ihn am 3.4.1961 zu zwei Jahren Zuchthaus "wegen fortgesetzter staatsfeindlicher Hetze". Bis zum 9.6.1962 war er im Stasi-Knast Berlin-Lichtenberg in Einzelhaft
Weil er anschließend fünf Jahre lang als anonymer DDR-Korrespondent für die Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" unter Pseudonym gearbeitet hatte, verhaftete man ihn am 2.6.1971 erneut. Nach neun Monaten U-Haft in Lichtenberg erfolgte die Verurteilung zu sieben Jahren Zuchthaus wegen "Agententätigkeit für die kapitalistische Brandt-Scheel-Clique" und die Überführung nach Brandenburg. Seine Frau erhielt fünf Jahre und kam nach Hoheneck, weil sie ihren Gatten nicht denunziert und sich nach dessen Festnahme einer Scheidung widersetzt hatte. Die beiden Kinder Borkowskis "übernahm" eine Familie zur "Umerziehung".
Am 1.9.1972 erfolgte die vorzeitige Entlassung nach West-Berlin.
Wenn ein Mensch mit einem solchen Lebensschicksal über seine Gespräche und persönlichen Erfahrungen mit der SED-Nomenklatura spricht, so ist es jedesmal ein ebenso plastisches wie vergnügliches Porträt des Betreffenden, geeignet für ein "Who ist Who?" der Ex-DDR.
Eben zum Beispiel seine allererste von insgesamt vier Begegnungen mit Erich Mielke. Bereits im Dezember 1949 machte Borkowski mit ihm seine ersten Erfahrungen. Es war auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld, wo Ulbricht auf seinen Abflug nach Moskau wartete zu Stalins "7O."
Der junge Rundfunkreporter Borkowski war mit seinem Standmikrofon an Ulbricht zu nahe herangekommen. Sofort fuhr die geballte Faust eines gedrungenen Blauuniformierten Borkowski unter die Nase, mitten ins Gesicht. Der spätere Stasi-Minister, damals Leiter des persönlichen Sicherheitsstabes Ulbrichts, nahm seine Aufgaben damals schon sehr genau.
Oder sein Gespräch mit Horst Sindermann, damals (es war am 15.5.1955 in Weimar) Abteilungsleiter für Agitation im ZK der SED, ein, wie Borkowski sagt, "hochintelligenter Mann, mindestens drei- oder viermal intelligenter als der Dachdecker". Für Borkowski, der seit Sommer 1953 den sogenannten Neuen Kurs als Anzeichen einer echten Wende der SED-Politik mit einigen Hoffnungen verfolgt hatte, war auch diese Begegnung ein Beitrag zu seiner allmählichen und immer stärkeren Desillusionierung. Denn Sindermann tönte, der Neue Kurs sei jetzt überholt, manche Genossen hätten bereits in Fragen der Ideologie viel zu sehr nach-gegeben. "Kompromißlerisches Denken, das Aufgeben fester Positionen des Leninismus, das Hereinlassen bürgerlicher Ideen muß jetzt ein Ende haben!"
Oder das Interview mit Arno von Lenski am 4.5.196O im Ost-Berliner Klub des Kulturbundes in der Nuschkestraße, der früheren Jägerstraße, wo früher noch der preußische Herrenklub mit Herrenreiter Franz v. Papen als Präsident residierte. Der Ort der Begegnung schien symbolträchtig, denn NVA-Generalleutnant und NDPD-Volkskammerabgeordneter v. Lenski war unter Hitler nicht nur Generalleutnant und Kommandeur der 24. Panzerdivision vor Stalingrad gewesen, sondern auch ehrenamtlicher Richter am berüchtigtem Nazi-Volksgerichtshof.
Borkowski wagte es, ihn darauf anzusprechen: "Mir liegt noch an einem anderen Kapitel Ihres Lebens, Herr Generalmajor ... Von den zu Tode verurteilten Widerstandskämpfern, die der Volksgerichtshof aburteilte, kann keiner mehr reden, anklagen oder verzeihen. Wie stehen Sie dazu, bedrückt Sie..." Lenski antwortete: "Was erlauben Sie sich! Diese Dinge sind alle mit den zuständigen Stellen geklärt, darauf antworte ich nicht. Ich beende unser Gespräch und werde mich beschwerdeführend an den Presseverband wenden. Das ist eine Provokation! Für wen, für welche Redaktion fragen Sie eigentlich?"
Oder auch seine Begegnung mit Dr. Otto Fischl, einem der insgesamt elf 1952 im Prager Slansky-Prozeß zum Tode verurteilten KPC-Spitzenfunktionäre. Borkowski erinnert sich dabei an einen kleinen, dicken, sympathischen Mann, mit dem er in der Puschkinallee in Berlin-Treptow im Jahre 1948 (!) Mokka getrunken hatte.
Diese und viele weitere spannende Begegnungen und Dialoge hält der Zeitzeuge Borkowski bereit. Dabei waren es vor allem die "Kulturträger des Sozialismus", die Borkowski "aus der Grube herauffahren" ließ.


Er erzählte von Bertolt Brecht, Helene Weigel, Konrad Wolf, Kurt Maetzig, Johannes R. Becher, Willy Bredel, Ernst Busch bis hin zu solchen "Afterliteraten" wie Otto Gotsche. Oder von Markus Wolf und dessen damaliger Frau Christel Bodenstein.

Oder von Hans Oliva-Hagen, Autor des DEFA-Films "Gewissen in Aufruhr", Vater der Nina Hagen und Gatte der Eva-Maria Hagen, die wiederum nicht nur von Biermann, sondern auch von Ulrich Thein vernascht wurde. Nicht zu vergessen natürlich Karl-Eduard v. Schnitzler, der es bereits 1948 im Rundfunkhaus in der Berliner Masurenallee im 1. Stock hauptsächlich mit den jungen Cutterinnen hatte.

Einschub von Eva-Maria Hagen an Herrn Hans Brückl in der Gerstenbergkpromenade 12 – 06628 Bad Kösen

Nein, Herr Hans Brückl, obwohl mir Ihr Artikel über Dieter Borkowski, den ich schon früh für seinen wachen Geist und frech–fröhlichen Mut bewunderte – (in den Abhörprotokollen der IM‘s in Stasi-Akten nachzulesen) – sehr gut gefallen hat: Dieser Herr Karl-Eduard von-und-zu ..... jedenfalls gehörte nie zu Evas "Eroberern". Das mußte mal gesagt und auf die Reihe gebracht werden – schon aus hygienischen Gründen. Nächstens genauer recherchieren!

Christel Bodenstein war übrigens die Ehefrau von dem DEFA-Film-Regisseur K o n r a d Wolf –

nicht von M a r k u s Wolf, dem Staatssicherheitsmann. Und Eva-Maria Hagen wurde weder von Ulrich Thein vernascht noch hat sie ihn vernascht. Sie haben sich zwar geliebt, die FANNY den MARIUS, denn er war ihr Partner in der TV-Triologie "Zum Goldenen Anker" und sie hatte sogar einen Sohn mit ihm.

Auch schon in ihrem 1. Film "Spur in die Nacht" waren die zwei ein Paar.

Und der letztgenannte, Karl Eduard v. Sch. ist ein doch wohl schlechter Witz. Eine Frau wie EVA wäre nie auf so einen galligen Typ verfallen. Sie war begehrt und wurde verehrt – in allen Schichten der sogenannten "klassenlosen" Gesellschaft. Warum sollte sie sich so einen Gift-und-Galle versprühenden Hetzredner antun. Schon bei dem Gedanken wird ihr übel. ... ( (Ende Einschub EVA-MARIA HAGEN)

Als "besonderes Bonbon" (und auch als angenehmen Kontrast zu den Berichten über Margot Honecker und Hilde Benjamin!) hatte Borkowski auch noch über seine Gespräche mit Elizabeth Proctor alias Simone Signoret zu erzählen. Er erlebte sie am 16.1O.1958 in Trebbin in der Mark Brandenburg während der Dreharbeiten zu dem deutsch-französischen Film "Die Hexen von Salem", in dem sie neben Yves Montand die Hauptrolle spielt. Das Drehbuch schrieb Jean Paul Sartre nach dem Theaterstück "Hexenjagd" von Arthur Miller. "Wissen Sie", sagte die berühmte französische Schauspielerin und Sympathisantin der KPF zu Borkowski, "ich meine, heute ist 'Salem' an vielen Orten der Welt, mit seiner Engstirnigkeit, seiner Intoleranz, auch seiner Inquisition, sogar da, wo wir es früher nicht vermuteten ... Gestern gab Ihr Parteichef Ulbricht einen großen Empfang für uns, die Franzosen. Als er auf den Sozialismus seinen Toast ausbrachte, antwortete ich ihm. 'Ein eigentümlicher Sozialismus, Herr Ulbricht, den Sie hier pflegen.'" Offenbar hatte sich Simone Signoret mit unbestechlichen Augen in der DDR umgesehen.
Wie Dieter Borkowski, für den alle Begegnungen "gesammelte Mosaiksteine des Lebens" waren, um sich von diesem System endgültig abzuwenden.

       

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